Der goldene Schwarm - Roman
schlug sie Verbesserungen und Verfeinerungen vor, und Edie fragte sich, wie lange sie brauchen würde, um die Tricks des Untertauchens besser zu verstehen als Edie selbst.
Aber wenn Frankie lernte, ein Spion oder zumindest etwas in der Art zu sein, dann nur mit dem kleinstmöglichen Teil ihres Geistes. In ihrem Herzen trug sie den Anschauungsapparat, dessen Gleichungen sie mit Kreide auf eine Tafel in ihrem Arbeitszimmer gekritzelt hatte. Sie ließ sich nicht mehr ablenken. Bruder Denis, der ihr im Auftrag der Ruskiniten einen Besuch abstattete, fand diese Entwicklung beunruhigend.
»Es ist alles in Ordnung«, wehrte Edie ab.
»Nun, mich müssen Sie nicht überzeugen«, erwiderte Denis. »Aber machen Sie sich nichts vor. Sie ist nicht dieselbe. Sie hat so einen Blick.«
»Was für einen Blick?«
»Visionen«, sagte Denis. »Monomanie. Ich weiß es nicht. Aber das ist nicht sie.«
»Vielleicht doch«, sagte Edie. »Vielleicht ist sie so, wenn ihr etwas am Herzen liegt.« Jemand , wollte sie eigentlich sagen. So ist sie, wenn sie jemanden liebt. Mich.
Denis hatte den guten, unmönchischen Instinkt, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
Am folgenden Tag ging Frankie aus, und drei Schläger in einem schwarzen Sedan warfen sich vor einem Laden namens Cadwallader’s, in dem Seife verkauft wurde, auf sie, aber Songbird und einige andere vereitelten die Entführung. Eine Woche später versenkte Shem Shem Tsien, in der Absicht, einen Krieg anzuzetteln, ein britisches Kriegsschiff in der Nordsee und ein russisches in einem Hafen in Helsinki. Während sich in Whitehall alle Augen auf diese kleine Katastrophe richteten, versuchten zwei weitere Ganoven, Frankie von einem Symposium in Cambridge zu verschleppen, wo sie sich mit Erdös und von Neumann traf.
Edie Banister klebte sich ihren Schnurrbart an und flog nach Tallinn, wo sie feststellte, dass sich Shem Shem Tsien als russischer Prinz ausgab. Er trug sogar eine Tasche voller Romanow-Gold bei sich und fluchte im Romanow-Stil – auf Französisch. Er war von Stenographen umgeben, die unentwegt in Notizbücher schrieben. Ein Fotograf wuselte um ihn herum. Es gab sogar einen Kameramann mit einer Bolex.
»Sieh an, Commander Banister. Gut sehen Sie aus«, stellte Shem Shem Tsien am Kartentisch im Casino von Kolywan fest. »Was man von mir nicht behaupten kann. Dessen bin ich mir wohl bewusst.« Er war zerfurcht und abgehärmt, seinen Hals zierte eine hässliche, frisch verheilte Narbe, aber seine Filmstaraugen glitzerten kalt. Er deutete auf seine Stenographen. »Verzeihen Sie meine Affektiertheit – ich lasse meine Reise für die Nachwelt aufzeichnen. Mein Weg zur Transzendenz ist es wert, dokumentiert zu werden. Ich denke, das macht aus diesen guten Männern meine Apostel. Meine Evangelisten. Wenn ich den Geist Napoleons habe …« Er schenkte dem, der ihm am nächsten stand, ein Lächeln und beugte sich dann vor. »Sie haben meine Wissenschaftlerin gestohlen, Commander Banister. Ich will sie zurück.«
»Sie ist ihr eigener Herr, alter Junge.«
»Nein, das ist sie nicht. Alles, was ist, gehört nach göttlichem Recht mir. Von anderen wird es nur genutzt, da ich es zulasse und erlaube.«
»Tja, ich fürchte, ich bin kein Gläubiger.«
»Nein«, sagte Shem Shem Tsien ohne Ironie. »Aber Sie werden einer sein.« Unvermittelt wechselte er das Thema. »Ich habe gehört, dass Frankie ein Buch schreibt. Belletristik, möchte ich wetten.«
Edie zuckte mit den Schultern, aber James Banisters Gesicht verriet sie. Shem Shem Tsien lächelte.
»Oh. Keine Belletristik. Doch nicht etwa Naturwissenschaftliches? Meine Naturwissenschaft?« Er lehnte sich über den Tisch. »Ich werde mir alles von ihr zurückholen, Commander. Es steht nicht Ihnen zu, ihr Gehirn zu plündern. Oh, aber ich habe ein Geschenk für Sie.« Er lächelte und schob einen kleinen, feuchten Gegenstand über den Tisch. »Die Zunge meiner Mutter. Sie ist noch recht frisch, das versichere ich Ihnen. Ich habe sie noch eine ganze Weile am Leben gelassen, damit sie den Tod ihrer Elefanten mit ansehen konnte, aber schließlich war ich sie leid. Ihren Kopf habe ich allerdings als Souvenir behalten. Und ich fühle mich in der Stimmung, Ihnen ein Stück davon abzugeben.«
Edie starrte die Zunge an und fragte sich, ob es ihr lieber wäre, wenn es sich tatsächlich um Dotty Cattys Zunge handelte, oder wenn Shem Shem Tsien sie nur um des Effektes willen jemand anderem aus dem Mund gerissen hätte.
Ihr fiel keine kluge
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