Der goldene Schwarm - Roman

ihr es niemals finden werdet. Und ich auch nicht. In einer Bibliothek. In einem Buchladen. In einer Kirche. Er hat es verbrannt. Er hat es verkauft.
    »Wo ist es?«
    Es existiert nur in euren Gedanken. In meinen. Unseren Gedanken. Wir sind alle eins .
    Joes eigene Gedanken wandern davon, er weiß es, und er weiß, dass dieses Abwandern eine Milderung der Schmerzen bedeutet. Er kämpft trotzdem dagegen an, weil er Angst hat, nie wieder zurückzufinden.
    »Sie können sich uns nicht länger widersetzen. Am Ende werden Sie uns alles sagen. Das tut jeder. Am Ende wird es uns langweilen, mit welcher Ausführlichkeit Sie uns Ihre Geheimnisse verraten. Wo ist die Kalibrierungstrommel, Mr Spork?«
    Ich habe nicht die verschissenste Ahnung.
    Das stimmt, aber zur selben Zeit bemerkt er, wie die Frage etwas in ihm wachruft. Die Kalibrierungstrommel wird dazu genutzt, die Einstellungen an Frankies Maschine zu verändern. Bruder Sheamus will den Anschauungsapparat zu einem anderen Zweck benutzen als Frankie.
    Er unterdrückt diese Erkenntnis, damit er sie nicht ausspuckt. Er ist sicher, dass zu viel zu wissen ebenso schlimm ist wie zu wenig.
    »Wo ist die Kalibrierungstrommel?«
    Es kommt ihm in den Sinn, dass sie wirklich nicht wissen, dass er es nicht weiß. Er befindet sich in den Fängen inkompetenter Folterer – was ihm die neue Angst einjagt, dass ihre physischen Fähigkeiten ebenso begrenzt sind wie ihre analytischen und sie ihn womöglich irgendwann unbeabsichtigt sterben lassen, weil sie einen Augenblick lang unaufmerksam sind.
    Er findet sich in der bizarren Hoffnung wieder, dass sie in all dem besser sind, als es den Anschein hat.
    Er träumt, dass Rodney Titwhistle ihn besuchen kommt, und wünscht sich, er könnte etwas weniger Graues und Bizarres träumen.
    »Die foltern mich«, sagt Joe mit tauben Lippen. Rodney Titwhistle schüttelt den Kopf.
    »Nein«, sagt Mr Titwhistle, »das stimmt nicht.«
    »Doch. Und Sie wissen es.« In seinen Ohren klingt Joe wie ein kleines Kind, und etwas in ihm empört sich darüber, aber er will gerettet werden. Er will, dass die Queen oder die BBC eingreifen und dafür sorgen, dass all das aufhört. Rodney Titwhistle ist weder die eine noch die andere, aber näher heran kann er nicht kommen.
    »Sie foltern Sie nicht. Und es ist ganz falsch, dass Sie es so auslegen. Das ist kontraproduktiv. Schlimmer noch, damit spielen Sie dem Feind in die Hände.«
    »Welchem Feind?«
    »Jedem beliebigen. Allen Feinden.«
    »Die foltern mich also für die Sicherheit der Allgemeinheit.«
    »Sie foltern Sie nicht, Mr Spork. Das wäre gegen das Gesetz. Ich dürfte gar nicht auf ihre Dienste zurückgreifen, wenn sie Sie irgendeiner Art von entwürdigender Behandlung aussetzten. Doch ich greife auf sie zurück. Ich weiß, dass sie sich ans Gesetz halten. Ich habe mich peinlich genau erkundigt. Ich habe Versicherungen erhalten. Deshalb denken Sie sich das entweder nur aus, oder Sie sind wahnhaft. Fall Sie sich das ausdenken, muss ich Sie warnen, dass eine manipulative Falschaussage dieser Art heutzutage als Mittel juristischer Kriegsführung verstanden wird. Sie begreifen, was ich meine? Illegale Verwendung juristischer Mittel steht unter Strafe.«
    »Die verraten mir ja nicht einmal, was sie von mir wollen. Ich will es ihnen sagen, verstehen Sie? Ich hab bloß keine Ahnung.«
    Rodney Titwhistle seufzt. »Sie wollen die Kalibrierungstrommel für den Anschauungsapparat, Mr Spork. Ein kleiner Gegenstand. Nicht größer als Ihre Hand. Wie sich erwiesen hat, stellt das Buch die Maschine an, aber nicht aus. Wir müssen die Trommel haben. Es gibt Hinweise darauf, dass Sie sie besitzen. Oder Ihr Großvater. Es wäre gut für Sie, wenn Sie es sich reiflich überlegten, bevor Sie irgendetwas abstreiten.«
    »Ich weiß es nicht. Ich will … ich will meinen Anwalt! Holen Sie mir Mercer. Ich habe Rechte. Das wissen Sie.«
    »Nein, haben Sie nicht. Nicht hier. Nicht in diesem Raum und nicht in diesem Gebäude. Hier sind Sie ein Patient. Sie werden einer terroristischen Handlung verdächtigt, die so scheußlich ist, so destruktiv, dass sie geradezu den Inbegriff des Wahnsinns darstellt. Patienten haben keine Rechte. Und ich habe es Ihnen bereits gesagt, Sir: Illegaler Gebrauch juristischer Mittel steht unter Strafe.«
    Mr Titwhistle verlässt beleidigt den Raum, und wie sich herausstellt, folgen nun tatsächlich Strafen. Aber Joe weiß inzwischen, dass er für alles bestraft wird, was er tut oder nicht tut, und es