Der goldene Schwarm - Roman
Drogen gegeben haben. Entscheidend ist nur, dass sie es tun könnten. Das Einzige, was er vor ihnen bewahren kann, ist sein Geist – und genau darauf haben sie es abgesehen. Sie können nicht direkt darauf zugreifen, also nehmen sie seinen Körper als Geisel.
Er erinnert sich, einen Artikel über ein Folteropfer gelesen zu haben. Der Mann sagte, am schlimmsten sei es für ihn gewesen, wenn dieselbe Musik wieder und wieder abgespielt worden war, bis er geglaubt hatte, verrückt zu werden. Er sagte, selbst die Rasierklingen wären nicht so schlimm gewesen wie das Gefühl, sich selbst zu verlieren. Joe macht sich ernsthaft Sorgen, dass er wenig zu verlieren hat und dass der Prozess deshalb bei ihm nicht lange dauern wird.
Er schreit irgendetwas und bereut es sofort. Er will ihre Aufmerksamkeit nicht. Mr Ordinary kommt auch unaufgefordert.
Mr Ordinary hat das Gesicht eines Tierarztes vom Lande. Er ist kein Ruskinit. Offenbar handelt es sich bei ihm um einen Spezialisten, der eigens für den Anlass hinzugezogen wurde. Er spricht mit einem weichen Bariton, bestens geeignet, um zu erklären, dass Rover die Schafspocken hat oder es Tiddles mit einer abwechslungsreicheren Ernährung besser gehen wird.
Er stellt Fragen. Es scheint keine Rolle zu spielen, was Joe darauf antwortet, also beginnt er, Witze zu machen. Mr Ordinary ist offenbar der Ansicht, dass lustige Bemerkungen mit Milde belohnt werden sollten. Ein Schweigen dagegen wird nachdrücklich bestraft. Mr Ordinary ist so freundlich, dies zu erklären, als Joe zum ersten Mal stumm bleibt.
»Lügen Sie unbedingt. Lügen ist völlig in Ordnung. Und falls Sie keine Ahnung haben, wovon ich rede, dann brabbeln Sie ruhig vor sich hin, erfinden Sie irgendwas. Das ist auch recht. So ein Starrsinn jedoch … den werte ich als Zeichen mangelnden Respekts.«
Als Joe störrisch seine Lippen zusammenpresst, seufzt Mr Ordinary und gibt mit leutseliger Kompetenz Anweisungen. Sie verfrachten Joe in seltsame Positionen und fixieren ihn. Der Schmerz stellt sich rasch ein, aber das akzeptiert er. Er hat es erwartet. Viel später erst wird es unerträglich, nachdem er sich an die Schmerzen gewöhnt hat und glaubt, sich gut zu schlagen. Mr Ordinary hört seinen Schreien zu und scheint in keiner Weise zu reagieren. Joe beginnt zu sprechen, zählt willkürlich die Preisliste für sich selbst aufziehende Uhrwerke auf, in der Hoffnung, dass sein Einlenken, so verspätet es auch sein mag, Gnade nach sich ziehen wird.
Dem ist nicht so.
Er verliert die Orientierung, aber irgendwann sitzt der Ruskinit vor ihm, mit dem all dies begann, und hört zu, wie er schreit.
Bruder Sheamus’ Bewegungen sind auf ebenso beunruhigende Weise fließend wie an jenem Tag in Joes Laden. Es ist, als verfügten seine Knochen über mehr Gelenke als üblich. Sein Kopf bewegt sich geschmeidig, um Joes Blicken zu folgen und ihm ins Gesicht zu starren. Leeres Ungeheuer aus schwarzem Stoff. Eierschalengesicht. Eine Maske. Und doch, auf gewisse Weise, nicht ohne Ausdruck. Ob seine Empfindungen sich in seiner Körperhaltung bemerkbar machen oder ob sie schlicht so stark sind, dass Joe die Züge des Gesichts unter dem Schleier erkennt – was in Bruder Sheamus vorgeht, ist in diesem winzigen Raum ziemlich offenkundig.
Er hasst Joe Spork. Er hasst ihn, wie man jemanden hasst, gegen den man sein ganzes Leben lang Groll aufgestaut hat. Dessen Existenz auf dieser Welt einen bis ins Mark empört. Jeder Zentimeter seines Körpers scheint von diesem Hass zu schmerzen.
Joe hat keine Ahnung, was er getan haben könnte, um solch einen Zorn hervorzurufen. Gewiss wüsste er es, wenn er einem Mitmenschen etwas derart Schlimmes zugefügt hätte. Er hat schließlich sein Leben damit zugebracht, harmlos zu sein.
Er versucht, dies zu erklären. Leider kann er nicht sprechen, denn wenn er es versucht, klappern ihm die Zähne, und seine Zunge will ihm nicht gehorchen.
»Sie haben sich ein Bild von mir gemacht, Joshua Joseph Spork«, sagt Sheamus klinisch. »Anders kann es nicht sein.«
Das ist keine Frage, nach den Regeln von Mr Ordinary muss Joe also auch nicht antworten.
»Sie stellen sich vor, dass ich ein Befehlshaber bin, der aber selbst Order von oben empfängt. Sie müssen wissen, dass ich viele Funktionen ausübe, und Sie können davon ausgehen, dass dort, wo sie sich gegenseitig ausschließen, eine Täuschung vorliegen muss. Aber solche Eindrücke sind reine Oberflächlichkeit. Sie basieren auf einem Verständnis der
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