Der goldene Schwarm - Roman
fügt sie, an die Wählerschaft gerichtet, hinzu, »ihr faulen, käuflichen, euch selbst betrügenden … oh, wenn ihr meine Kinder wärt, ich würde …« Aber das bringt sie zum Verstummen. Keiner von ihnen ist ihr Kind. Keine Söhne, keine Töchter hat Edie Banister. Nur Bastion und die verblichene Liebe der einen, deren Vertrauen sie ein halbes Menschenleben lang missbraucht hat. Im Namen der Stabilität und der Sicherheit. Einige Jahrzehnte der Ruhe, wie sie sich seinerzeit einredete, und die Welt würde sich selbst in Ordnung bringen.
Stattdessen aber ist irgendwie alles schiefgegangen. Der Spielmannszug des Fortschritts ist in eine dunkle Gasse abgeschwenkt und überfallen worden. Die Berliner Mauer und Vietnam, der Genozid von Ruanda, die Zwillingstürme, Camp Delta, Selbstmordanschläge und Erderwärmung, sogar der verschissene Vaughn Parry, der kleine Vorstadt-Albtraum, der direkt bei ihr um die Ecke wohnte, der tötete und tötete, ohne dass es jemandem auffiel, weil sich niemand die Mühe machte, es herauszufinden. Edie Banister hat ihre Loyalität einem leeren Thron gewidmet. Es hat keinen Fortschritt gegeben. Keine Stabilität. Nur die Frage, ob die jeweiligen Katastrophen weit genug entfernt stattfanden.
Die Parry-Geschichte war das Ende ihrer bequemen Gewissheit gewesen. Es begann, den Zeitungen zufolge, in irgendeiner neuen Schrebergartenkolonie in einer Kleinstadt namens Redbury. Der Stadtrat hatte endlich Gelder lockergemacht und eine Grünflache erworben, die einst zu einem Abstellgleis gehörte und zu Thatchers Zeit verkauft worden war, um Apartments und Studios für reiche Käufer zu bauen, die sich nie einstellten. Ein Gemüsezuchtwettbewerb wurde erwogen und biologischer Anbau für die Anwohner zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und all die anderen Dinge, die es in England nicht mehr gab, weil die Finanzen knapper wurden und der Immobilienmarkt mit Nichts Geld machte. Und dann taten sie den ersten Spatenstich, und es war vorbei, bevor es überhaupt begonnen hatte. Eine grinsende Leiche, eingewickelt in eine Decke mit Schottenmuster, und dann noch eine und noch eine, und schon durfte das kleine Redbury einen Serienmörder sein Eigen nennen.
Edie konnte nicht anders, es musste ihr auffallen: Wenn Vaughn Parry einen seiner Gefangenen folterte und die Leiche einen halben Meter tief in sandiger Erde vergrub, dann war er ein Monster, aber wenn das Gleiche auf Geheiß ihrer eigenen Regierung in einem Keller in Übersee stattfand, dann handelte es sich um eine unangenehme Notwendigkeit.
Nun, vielleicht war es das ja auch. Aber wenn es so war, dann konnte die Welt, die es notwendig machte, sich ihretwegen gerne den Strick nehmen.
Sie hatte es sich eine Zeit lang angewöhnt, abends mit Bastion noch einmal nach draußen zu gehen, durch die Straßen zu laufen und in die Häuser und Büros einer Stadt hinaufzublicken, von der sie nicht mehr sicher war, ob sie sie noch kannte. Die verrückte alte Edie und ihr Hund ohne Augen, Seite an Seite im Londoner Nebel . Ja, verrückt war sie, und allein, aber sie hatte die Möglichkeit, dem, was sie in den Wahnsinn trieb, etwas entgegenzusetzen. Eine Möglichkeit, deren genaue Natur sie selbst nicht verstand, die ihr aber von einer Person gegeben worden war, die geschworen hatte, damit die Welt aus den Angeln zu heben und die Finsternis von tausend Jahren zu erhellen. Ein Geschenk der Wissenschaft an eine Welt des Schreckens.
An einem Dienstagabend – mit dem Programm von BBC World Service im Hintergrund – hatte sie sich schließlich einen Stift und einen Bogen Papier genommen und den Ablaufplan ihrer persönlichen Revolution aufgeschrieben. Ein gewisser Gegenstand musste beschafft werden, und ein Mann wurde benötigt, der diesen dorthin brachte, wo er hingehörte. Dies wiederum würde Tarnungen erforderlich machen, Fälschungen … aber nicht allzu viele. Eher eine kleine Bauernfängerei als eine verdeckte Operation. Alles ganz unauffällig natürlich, denn es könnte Folgen haben, und ihr Name könnte immer noch Alarm bei gewissen Stellen auslösen, die unbedingt noch ein Weilchen im Unklaren gelassen werden mussten.
Und nun, da sie Joe Sporks Visitenkarte anschaut und ihren Hund ohne Augen streichelt, denkt sie über diese Folgen nach und kommt sich vor wie eine dumme Kuh. Sie hat den jungen Spork in ein Chaos von unvorstellbarem Ausmaß gestürzt. Es ist notwendig, wenn auch geschmacklos gewesen, und am Ende wird ihm nichts passieren. Wenn sie sich
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