Der goldene Schwarm - Roman
die Angelegenheit erst einmal genauer angeschaut haben, werden sie begreifen, dass er nur ein leichtgläubiger Esel gewesen ist.
Wenn sie sich die Angelegenheit genauer anschauen. Wenn sie sich die Zeit nehmen. Wenn sie keinen Sündenbock für die Boulevardblätter brauchen. Wenn sie in großzügiger Stimmung sind. Und da ist auch wieder dieses Wort: notwendig . Ein magischer Begriff, der dazu geeignet ist, eine Unzahl von Sünden zu entschuldigen, und dabei bedeutet er nichts anderes als: So ist es leichter als anders.
Das Einzige, was sie jetzt noch tun muss, ist, sich zurückzulehnen und zuzusehen, nun, da sie ihre Schuld beglichen und dem Lauf der Dinge etwas entgegengesetzt hat. Es besteht keine Gefahr, dass ihm irgendetwas wirklich Schlimmes zustößt. All die alten Geister haben gewiss ihre letzte Ruhe gefunden.
Warum also hat sie ihn, nachdem sie sich bereits vor Wochen davon überzeugt hatte, dass er der Richtige für die Aufgabe ist, immer wieder hierherbestellt und ihn an irgendwelchem Schrott arbeiten lassen? Um ihn kennenzulernen? Um herauszufinden, dass er reizend ist und ein klein wenig verloren?
Es gibt überhaupt keinen Grund.
Außer dass sie sich, wie bereits festgestellt, wie eine dumme Kuh vorkommt. Kuh, Kuh, Kuh.
Und um ehrlich zu sein … ist es notwendig gewesen? Es spricht vieles dafür. Es ist gut möglich, dass er die einzige Person ist, die über die Fähigkeiten verfügt, der Aufgabe gerecht zu werden. Wenn er von seinem Großvater gelernt hat. Wenn er aufgepasst hat. Wenn Komplikationen auftreten, mit denen kein halbwegs kompetenter Uhrmacher je fertigwerden könnte. Wenn, wenn, wenn. Sie ist sich sicher, diese Argumente schon einmal gehört zu haben, aus den verzagten Mündern von Politikern.
Sie betrachtet ihr Spiegelbild auf der Tischplatte und überlegt. Joshua Joseph Spork, Enkelsohn der großen Liebe ihres Lebens, doch offenkundig nicht der ihre. Beweis ihrer Unzulänglichkeit.
Ist es möglich, dass sie ihn aus altem Groll ins Fadenkreuz gestellt hat?
Ihr Spiegelbild will sie nicht anschauen.
»Muuuh«, sagt Edie Banister.
Da sie nun schon einmal die Rolle der bösen Fee spielt, muss sie auch die der guten übernehmen und ihn im Auge behalten.
Und mit dieser Entscheidung fühlt sie sich gleich erleichtert. Ha. Ha! Halten Sie Ihre Hüte fest, meine Herren, und beschirmen Sie Ihre Augen, meine rosenblättrigen Damen in Ihren spießigen, mütterlichen Wollkostümchen. Banister ist wieder da! Und diesmal steht sie an der Spitze des Sturms!
Bastion schaut sie an und rappelt sich langsam auf. Einen Augenblick später kehrt er ihr den Rücken zu, knurrt furchteinflößend und wendet ihr anschließend Beifall heischend den Kopf zu.
»Ja, Darling«, sagt sie. »Du und ich gegen den Rest der Welt.«
Sie hört das Zischen von eingesogenem Atem, und ihre Euphorie schlägt abrupt in große, große Ernsthaftigkeit um.
Sie ist nicht allein.
Edie Banister öffnet die Tür und findet drei Männer vor, von denen der mittlere sehr kräftig ist und die in ihrem Wohnzimmer stehen, als hätten sie in diesem Augenblick ganz und gar nicht mit ihrem Auftauchen gerechnet. Sie tragen feste Schuhe und triste Arbeitskleidung. Der Kräftige hat einen Hammer in der Hand, und das Oberteil seines Jogginganzugs ist unter dem linken Arm ausgebeult. Er hat eine kleine Skischanzen-Nase, das Ergebnis rekonstruierender Gesichtschirurgie, was auf seinem zerschlagenen Gesicht recht albern aussieht. Seine Seitenverteidiger sind jünger. Schweinehunde in Ausbildung. Edie schaltet auf Autopilot. An die Gefechtsplätze, du alte Kuh , denkt sie, diese Typen haben dein Ableben im Sinn. Zu spät, um das alles noch aufzuhalten . Die Tat ist vollbracht. Das letzte Treffen mit Joe Spork hat nur zur Beruhigung ihres eigenen Gewissens stattgefunden. Ihr verschlagener Plan war ja bereits Tage zuvor in Gang gesetzt worden, oh ja, und zwar auf indirektem Wege. Dies sind bereits die Folgen. Aber noch rechtzeitig, um dich von der Bildfläche verschwinden zu lassen, das steht fest. So.
Sie lächelt ein schrulliges Alte-Dame-Lächeln.
»Ach herrje«, sagt sie, »Sie haben mich aber erschreckt. Sie müssen Mr Big …« Oh, na, das war ja brillant, Edie: Mr Big, weil er so groß und breit ist. Adjektive als Familiennamen sind ja auch völlig normal. Jetzt sieh zu, wie du da rauskommst, sonst war’s das . »… Mr Biglandry vom Stadtrat sein. Freut mich, dass Miss Hampton Sie reingelassen hat. Es tut mir schrecklich leid,
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