Der goldene Schwarm - Roman
beschreibt, während er auf dem Bauch liegt und versucht, einen genaueren Blick auf sie zu erhaschen. Inaktiv, bis die Umstände stimmen, ist dies Englands seltenstes Insekt. Es ist so ungewöhnlich, dass es über keinerlei natürliche Fressfeinde verfügt … Von allen Bewohnern dieser Erde ist nur der Mensch eine Gefahr für diese außergewöhnliche Biene … und sie ist ein grandioses Geschöpf.
Joe streckt die Hand aus, zögert dann aber. Er mag Ungeziefer nicht besonders. Es ist wanzig und fremdartig. Die Biene, die ihm am nächsten ist, hält inne und zuckt. Er hört ein Summen und bildet sich ein, auch ein mechanisches Klacken vernommen zu haben. Atemlos berührt er die Biene mit seinem Zeigefinger auf ihrem Rücken. Raumtemperatur. Trocken. Sie schreckt nicht zurück. Eine Maschine würde dies auch nicht tun. Aber ein Insekt … er hat keine Ahnung. Wahrscheinlich. Vielleicht werden apis mechanistica gern gestreichelt. Er zieht seine Hand zurück. Die Biene gleitet von der Skulptur auf den Boden, gibt ein sehr klares, metallenes Klicken von sich und bleibt bewegungslos liegen.
Joe wirft Ted Sholt einen schuldbewussten Blick zu, aber dieser scheint nicht wütend zu sein. Joe streckt die Hand aus, um die Biene aufzuheben. Als er sie genauer betrachtet, kann er Schrauben und Stifte erkennen.
Erstaunlich.
Die kleinen Plattformen, die die Bienen nach draußen befördert haben, ziehen sich in den Stock zurück, um noch mehr von ihnen zu holen. Weitere Magnete, vermutet Joe, die sich unter der Außenschicht des Bienenkorbs bewegen. Vielleicht – die physikalischen Gegebenheiten sind ihm nicht klar, aber es muss möglich sein – verläuft auch ein elektrischer Strom durch diese Außenschicht. Wenn das Ding aus den fünfziger Jahren stammt, wäre das vorstellbar.
Sholt sieht wie hypnotisiert zu.
»Atemberaubend«, sagt Joe nach einem Moment. Das ist es. Es ist eine Kombination aus Handwerks- und Ingenieurskunst, die über alles hinausgeht, was er je gesehen hat. Und doch kommt es ihm etwas enttäuschend vor. Was hätte man bei diesem Aufwand nicht alles zustande bringen können.
Aber vielleicht vermag es doch noch mehr. Vielleicht hat er den zeitlichen Ablauf falsch eingeschätzt. Viktorianische Automaten zeigen nur eine kurze Zeit, was sie können, so wie Billys brünftige Adelige. Sholts Bienenstock aber ist moderner und ebenso sehr ein Stück Wissenschaft wie ein Schmuckstück. Jemand hat sich außerordentliche Mühe damit gemacht und es hier an der Küste Englands aufgestellt, inmitten von Sturm und Regen. Wird es vom Wind betrieben? Von den Wellen? Vielleicht ist es eine ausgefallene Vorrichtung zur Wettermessung: ein Bienenbarometer. Es könnte auch einer ganz anderen Kunstrichtung angehören, eine bewegliche Installation sein – vielleicht dauert der volle Zyklus ein ganzes Jahr. Mit den richtigen Gleichungen könnte es beinahe in unendlicher Weise variiert werden, ein Kunstwerk in ständigem Fluss. Ein mathematischer Beweis, eingeschrieben in kostbaren Stein. Cornwall ist voll von den irrsinnigen, hochintellektuellen Kunstwerken von Männern und Frauen, die es aus London in den äußersten Nordwesten verschlagen hat: Fermats Theorie in Pappmaschee errichtet, Heisenberg vertont, Beethovens Musik in Glas geblasen. Vielleicht ist auch dies so ein Stück, ein halbes Jahrhundert lang vergessen und nun erweckt. Er lächelt vor sich hin. Er ist Teil von etwas.
Eine innere Stimme sagt ihm, dass er öfter Teil von etwas sein sollte.
»Ja«, haucht Sholt. »Das ist es. Es funktioniert noch immer! Nach all der Zeit! Oh, die Welt wird sich nun verändern! Alles wird sich verändern! Ha! Alles!«
Joe starrt das Ding an. Vielleicht wird sich die Welt für Sholt ändern, das räumt er ein. Ted Sholt, Besitzer einer der bedeutendsten mechanischen Skulpturen der Welt, deren kostbare Metalle und Edelsteine allein hunderttausend wert sein dürften. Als Artefakt aber dürfte es beinahe unermesslich wertvoll sein. Einer von Joes Kunden aus dem Nahen Osten würde wahrscheinlich jeden Preis dafür zahlen.
Insofern stimmt es. Für Sholt wird sich die Welt verändern. Sein Sackleinengewand wird im Gewächshaus zurückbleiben. Es wird Frauen geben für ihn oder Männer. Er wird Umgang haben mit der Welt, wenn er will. Zumindest auf bescheidene Weise. Vielleicht wird er in den Nachrichten auftauchen.
»Was ist es?«, fragt Joe. »Wozu dient es?«
Sholt lächelt. »Oh«, sagt er. »Es macht aus Menschen Engel.« Als Joe
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