Der goldene Schwarm - Roman
zum Himmel und zurück unternehmen, und ich wünsche dabei nicht gestört zu werden. Okay?«
»Okay. Dann viel Spaß.«
»Einer von uns beiden muss ja Spaß haben. Wäre eine Schande, verbittert zu sterben, oder?«
Der Himmel über London ist immer noch bleigrau und schwer, als Joe aus dem Tosher-Revier auftaucht und scharf links durch einen niedrigen Torbogen und in ein Gewirr kleiner Straßen schlüpft. Er beißt sich auf die Lippen und bemüht sich, nicht zu rennen. Warum er sich Sorgen macht, ist leicht erklärt: Es gibt drei Wege, auf denen Mr Rodney Titwhistle und Mr Arvin Cummerbund, beide definitiv nicht vom Loganfield-Museum, Kenntnis von dem Objekt erlangt haben könnten, das Mr Titwhistle so geistesabwesend in die Luft gezeichnet hat. Sie könnten es bereits gewusst haben. Sie könnten es von einer dritten Partei erfahren haben. Oder von Billy.
Die mutmaßliche dritte Partei könnte natürlich der verärgerte frühere Besitzer des Buches sein, von dem er in seinem Laden besucht worden war und dessen leiseste Erwähnung bei Fisher die schiere Panik ausgelöst hat. Folglich Bruder Sheamus oder sein Nachfolger.
Allerdings fällt ihm nur eine einzige Antwort auf die Frage ein, wie sie alle von seiner Verbindung mit dem Buch erfahren haben können. Und die lautet Billy Friend .
Die Häuser von Carefor Mews zeichnen sich durch eine merkwürdige Mischung aus alter und neuer Architektur aus. Man hat sie gegen jede Vernunft weiß gestrichen, und nun ziert sie erwartungsgemäß ein dreckiges Graugrün. Billy liebt Soho. Die problemlose Verfügbarkeit von Schweinkram, die spät geöffneten Bars und die berauschten Touristinnen tragen natürlich zur Attraktivität bei, aber Billy hat Joe schon vor langer Zeit gestanden, dass dieser Ort sein Ein und Alles ist. Die wilden Nächte in Soho, wenn alles feiert und sich drängt, sind das eine; aber wenn man dort lebt, sieht man auch den Morgen danach, die verdreckten, trauervollen Straßen, die gereizten Ladenbesitzer, die mit ihrer Arbeit beginnen, und die erschöpften Nutten, die sie gerade beenden. Soho ist ein nicht enden wollender Zirkus, der sich permanent selbst feiert, auch wenn die Falten sich zeigen und das Make-up zerläuft. Soho ist immer noch ein letzter Zug, ein letzter Drink, noch eine letzte Anmache, bevor du stirbst.
Billy Friend, der abgeklärte Realist, betrachtet Soho als langes, trauriges Gedicht, als Trauergesang, in dessen Herz er lebt. Joe ist sich unsicher, ob ihn das tiefgründig macht oder doch nur etwas armselig.
Die Straßen riechen nach Urin und Bier. Die Überreste eines Hühnchengerichts verrotten in einer offenen Pappschachtel. Wie sie die Nacht überlebt haben, kann Joe sich nicht erklären. In Carefor Mews gibt es genug Ratten, Stadtfüchse und menschliche Bewohner, die mehr als froh wären, von einem derartig offenkundigen Geschenk einen Bissen zu nehmen.
Die Haustür verfügt über ein neues elektronisches Kombinationsschloss. Joe kennt den Code – Billy gibt ihn recht freimütig heraus, denn alles, was bei ihm gestohlen wird, kann er mit ziemlicher Sicherheit zurückstehlen, und Feinde hat er keine. Seine Nachbarn regt diese Angewohnheit ganz fürchterlich auf, aber Billy weiß, wie er die Leute wieder beruhigt. Es ist schwer, ihm lange böse zu sein.
Erdgeschoss – kein Teppich im Treppenhaus. Stattdessen dieses merkwürdige, silbrig durchsetzte blaue Linoleum mit der Sandpapier-Textur, damit man nicht ausrutscht. Joes Schuhe machen ein Geräusch, als trete er auf Splittsteine. Gritsch . Warum ist das Geräusch so vertraut? Nun, er war ja schon einmal hier. Aber das ist nicht der Grund. Hm.
Erster Stock – Holzdielen, deren Kanten weiß gestrichen wurden, immer noch kein Teppich. Mr Bradley, der Hausverwalter, hat immer vorgehabt, Teppich legen zu lassen, dazu ist es jedoch bislang nicht gekommen. Es sind Spritzer von weißer Farbe auf den Dielen, außerdem haben Stilettoabsätze und schwere Stiefel Kerben und Kratzer auf dem rohen Holz hinterlassen. Einmal, als Joe hierher zu Besuch kam, war das gesamte Treppenhaus eine einzige Party, ein riesiger Eintopf aus billigen Gaunern, Party Girls, Party Boys und zahlreichen Filmleuten, die sich bei Pisco Sours aus Plastikbechern mit trauervollen Gesichtern über Steuerungerechtigkeiten beschwerten. Seine Schritte dröhnen dumpf auf jeder Stufe.
Zweiter Stock – Hartplastik. Der gesamte zweite Stock wird von einer einzelnen Person bewohnt, einem fröhlichen Rumänen namens
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