Der goldene Schwarm - Roman

schon lange. Geht ja gar nicht anders. Sagten Sie, Sie hätten einen Kuchen dabei?«
    »Nein. Ein Buch.«
    Ted Sholt wedelt mit den Händen. »Ich mag Kuchen. Schokolade, mit Butter-Kokos-Überzug. Goldener Sirup. Braucht natürlich Zeit, so was hinzukriegen, aber jemand sagte mir mal, die Zeit sei nur ein Hirngespinst.«
    »Ted? Ich habe das Buch. Das Buch und auch den Rest.«
    Sholt stiert ihn an und kratzt sich am Bauch. Unter der Öljacke scheint er einen Rock aus Sackleinen zu tragen.
    »Nun, das wäre ja wunderbar.« Und dann kehrt die Klarheit zurück, so rasch und so intensiv, dass es erschreckend ist. Seine Hand schießt vor und umklammert Joes Arm. »Sie haben es? Hier? Jetzt? Wie viel Zeit haben wir? Kommen Sie, Mann, die werden Ihnen dicht auf den Fersen sein!«
    »Wer?« Aber Joe hat sich bereits in Bewegung gesetzt, der alte Instinkt fordert es ein: Wenn jemand sagt »Sie kommen«, verschwindest du sofort durch den Hintereingang und fragst erst später nach den Details.
    »Sie alle! Sheamus auf jeden Fall. Jasmine vielleicht. Andere, so viele andere, selbst wenn Sie sie noch nicht gesehen haben! Und ich bin verrückt und nicht zu gebrauchen. Nicht zu vergessen, steinalt. Gott, was hat das lange gedauert. Kommen Sie, kommen Sie schon!« Er packt Joe an der Hand. »Sagten Sie, Joe Spork ? Wie Daniel? Spork, das Uhrwerk? Ja? Wo ist es? Bitte! Wir müssen uns beeilen!«
    »Sie kannten Daniel? Er war mein Großvater …«
    »Keine Zeit! Erinnerungen später. Familiengeschichten am Kamin, ja, und Kuchen. Sie bezahlen! Aber nicht jetzt, nicht jetzt, jetzt ist die Zeit, sie darf nicht verstreichen! Dies sollte schon vor Jahrzehnten passieren … so spät. Kommen Sie schon!« Drahtige Hände, die greifen und zupacken und Joe mit sich ziehen. »Keine Zeit!«
    Ted Sholt riecht zum Glück nicht so, wie er aussieht. Er sondert einen Geruch von Wachs, Harz und Erde ab. Einen knappen Meter vor dem Wagen bleibt er stehen und streckt den Finger aus.
    »Wer ist das?«
    »Billy. Er hat mir den Job verschafft.«
    »Billy als Abkürzung von William. Kenne keine Williams.«
    »Er ist ein Freund, Billy Friend.« Ein alter Witz, der ihm rausrutscht. Sholt weiß das nicht und springt auf den Rücksitz des Wagens. Billy schreckt aus einem Nickerchen auf und ruft: »Jesusmaria!« Ted schießt vor und schreit zurück: »Jesus war die Mutter von Maria, und Maria traf den Engel Gabriel an der Weggabelung, und an der Weggabelung trifft der Efeu auf den Ginster, und dort stürzen wir ins Dunkel, wo Frankie in einem Baum die Engel erschaffen hat«, was die Situation so gar nicht entspannt. Billy fährt auf seinem Sitz herum, um seinen Feind besser sehen zu können, und Ted weicht taumelnd zurück, bis er in der äußersten Ecke der Heckscheibe nicht mehr weiterkommt und aus voller Kehle brüllt: »Engelsschöpfer, Engelsschöpfer!«
    Zum ersten Mal seit Jahren sieht sich Joe gezwungen zu schreien: »Billy! Billy! Billy, es ist okay, das ist Ted. Er ist ein bisschen verrückt, aber er ist unser Kunde oder der Vertreter unseres Kunden, okay?«
    »Joseph, der ist so verrückt, wie man nur sein kann. Und er trägt ein Kleid.«
    »Es ist ein Gewand«, erwidert Ted Sholt mit verletztem Stolz. »Ich bin ein Geistlicher.« Was so überraschend und auf so verrückte Weise plausibel klingt, dass erst einmal keiner von ihnen etwas erwidert. Dann beginnt Ted zu gestikulieren. »Weiter unten. Es war weiter weg von den Klippen, wissen Sie. Deshalb ist es nicht hinabgestürzt.« Er hebt den Arm, und einen Augenblick lang verzerrt sich sein Gesicht in Agonie, sodass Joe sich fragt, ob es körperlicher Schmerz ist und nicht bloß Wahnsinn, und das gibt ihm zu denken.
    Ted Sholt lebt tatsächlich in einem Gewächshaus, aber es ist eines im viktorianischen Stil, ein weit ausladendes Gebäude mit zwei Stockwerken und gläsernen Wänden. Irgendwo im oberen Stock brennt eine Lampe, und Joe kann ein improvisiertes Bett ausmachen und etwas, das als Schreibtisch dienen könnte. Die Scheiben sind zersplittert und mit Klebeband geflickt, und, ja, das ganze Haus ist mit eindringendem Efeu überwachsen. Als sie näher kommen, beugt Joe sich herunter, um sich das Gewächs anzuschauen, und in der Tat: Nun, da er es aus der Nähe betrachtet, entdeckt er hungrige Ranken, die aussehen, als würden sie über ein gigantisches verwundetes Tier gleiten, um an seine Innereien zu gelangen. Er tritt rasch zurück und stellt fest, dass Ted mit flinken, hellen Augen und