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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Idiot.
    Der letzte Tanz. Der sollte sich möglichst lohnen.
    Sie erhebt ihr Glas auf die kürzlich Verstorbenen und auf sich selbst und bricht in der Ecke des Pig & Poet in Tränen aus, was allgemeine Betretenheit auslöst – nicht zuletzt bei ihr. Auch dank der feuchten, stinkenden Schnauze, die sich auf ihrer Brust niederlässt, als Bastion aus ihrer Einkaufstasche auftaucht, um ihr Beistand zu leisten, reißt sie sich aber nach und nach wieder zusammen, und bald schon ist sie wieder die Frau, die sie war und immer gewesen ist – nur ein wenig älter und etwas rot um die Augen.
    All diese Jahre. Verfluchte Scheiße .
    »Mädchen, die ihrem Land dienen wollen, benötigen flache Schuhe und bescheidene Unterwäsche.«
    Es ist das Wort Unterwäsche , das Edie Banister aus dem zufriedenen Schlummer erweckt, in den sie während der morgendlichen Bekanntmachung von Miss Thomas gefallen ist. Die Lehrerinnen der Lady Gravely School sprechen nur höchst selten von Unterwäsche, und die Erwähnung von flachen Schuhen ist erstaunlich, da alle anderen Arten sowieso streng verboten sind. Und was die damit angedeutete Existenz von unbescheidener Unterwäsche anbelangt – so kann Edie kaum ihren zarten jungen Ohren trauen. Eins steht fest: Miss Thomas hat die Bekanntmachung, die sie vorliest, nicht selbst geschrieben, und die Angelegenheit wird als sehr ernst betrachtet – immerhin wird dieser eingeschmuggelten Information zwischen dem Verlesen der Aufgabenverteilung und dem abschließenden Gebet Platz eingeräumt.
    »Unterwäsche«, murmelt sie, während alle anderen »Amen« sagen. Erfüllt von Pflichtgefühl, wird sie dann zur angeordneten Zeit im Büro ihrer Rektorin vorstellig und trägt ihre bei Weitem untadeligsten Schuhe.
    Drei andere Mädchen sind ebenfalls vom patriotischen Virus infiziert. Die anderen sechzig sind entweder nicht so geistesabtötend gelangweilt wie Edie oder fürchten, von ihrer Regierung dazu aufgefordert zu werden, etwas zu tun, das nicht ladylike ist; ein Verdacht, der in Edie bei Erwähnung der Unterwäsche aufgestiegen ist und an den sie sich klammert wie eine Ertrinkende an einen Rettungsring. Prostituierte wurden damit beauftragt, Napoleon zu ermorden, erinnert sie sich, und in einem pikanten Roman, von dem sie zwei Drittel lesen konnte, bevor sie von einer prüden kleinen Kuh namens Clemency Brown verpetzt worden war (und ihr daraufhin dreimal mit dem Lineal auf die Handflächen geschlagen wurde), hatte die Heldin sich widerwillig, aber mit Todesverachtung in die lustvollen Umarmungen von Skullcap Roy, dem Piraten, sinken lassen, um dessen Zorn von ihrem jüngeren Bruder abzuwenden. Nicht ohne ein gewisses Maß an Vorfreude, wie Edie vermutet. In Kriegszeiten, überlegt sie sich, muss man darauf vorbereitet sein, sich selbst zu opfern. Sie stellt sich vor, wie sie sich hinlegt und in den Armen eines viehisch attraktiven Feindes an England denkt. Das erregte Schaudern ist fast zu viel für sie.
    »Plant – gut. Dixon – gut, Clemens – nein, ich denke nicht, Mädchen, du spielst doch im Weihnachtsstück mit. Wo sollen wir eine andere Magdalena finden, die singen kann? Nein, nein. Und … hmpf.« Etwas Ermutigenderes wird Edie wohl nicht zu hören bekommen, aber immerhin ist ein Hmpf keine Ablehnung, und das muss reichen.
    »Es tut mir so leid, Miss Thomas, ich habe Sie eben nicht verstanden?«
    Der kleine Mann hat ein langes Gesicht und Pomade im Haar. Ein Zuhälter, entscheidet Edie, andererseits trägt er einen blauen Anzug der konservativsten Sorte mit einer ältlichen Weste und einer Taschenuhr. Die Uhr ist mit einer kleinen goldenen Blume verziert. Lohnt sich nicht zu klauen, oder noch nicht, aber doch ein ganz ordentliches Stück und sehr hübsch. Kein Freimaurerabzeichen, was enttäuschend ist. Die Freimaurer, das hat sie gehört, führen verdorbene Riten aus.
    »Banister«, murmelt Miss Thomas. »Ein hoffnungsloser Fall.«
    »Na so was. Inwiefern hoffnungslos?«
    »In jedem Sinne, fürchte ich. Erst einmal eine Waise. Dann, weil sie jede Frage stellen muss, die ihr gerade einfällt, und dann noch eine und noch eine. Außerdem ist sie in spiritueller Hinsicht beschmutzt worden, und selbst in meinen seligsten und hoffnungsvollsten Träumen kann ich mir nicht ausmalen, wie sie sich von der Sünde frei machen und ins Haus des Herrn eintreten soll.«
    »Ach du liebe Zeit.«
    »Allerdings.«
    »Nun, ich werde unbedingt für sie beten.«
    »Oh, unbedingt.«
    »Gibt es ein bestimmtes Gebet,

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