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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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bedeutet nicht von Fahrplänen abhängig zu sein, keine Verspätungen in Kauf nehmen zu müssen. Es deutet sogar alles darauf hin, dass Abel Jasmine bei anderen Zügen Verspätungen anordnen und die Abläufe im Schienenverkehr des gesamten Landes ganz nach Wunsch ändern kann.
    »Er ist erstaunlich«, sagt sie, und Abel Jasmine gibt zu, dass er gar nicht schlecht ist. Edie hält inne und überlegt. »Es ist ein Ruskiniten-Zug, oder?«
    Er schaut sie durchdringend an, dann Amanda Baines, die um ihre Pfeife herum grinst wie ein großer Hund.
    »Ja«, sagt Abel Jasmine. »Das stimmt. Aber bedenken Sie, er ist schon nicht mehr auf dem neuesten Stand, seit wir ihn fertiggestellt haben. Das ist die Geschwindigkeit des Fortschritts … Nun«, fügt er an den Fahrer gewandt hinzu, einen verdrießlichen schnurrbärtigen Burschen in blau, »dann wollen wir mal, Mr Crispin. Los geht’s!«
    Der Zug ist im Inneren nicht weniger wunderbar. Edie betrachtet mit großen Augen geriffelte Oberflächen aus Holz und Messing, die wie bei einer Kathedrale mit reichem Azur und Gold besetzt sind, und Fenster aus einem harzartigen Material, das wie Bakelit wirkt, aber fester ist. Sie geht eine Wendeltreppe hinauf zum oberen Stock und späht in die vorbeiziehende Nacht hinaus. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlt sie sich frei. Sie lehnt ihren Kopf gegen das Nicht-Glas und lächelt ein breites Lächeln.
    »Die Farbe Blau ist von der Gottheit für alle Zeit dazu bestimmt, eine Quelle der Freude zu sein.«
    Sie dreht sich um. Ein breiter, grauhaariger Mann im Overall steht am anderen Ende des Waggons. Edie schätzt ihn auf knapp sechzig, aber er scheint noch sehr kräftig zu sein.
    »Der Zug«, sagt er. Edie sucht nach Zeichen der Herablassung, findet aber keine. Als er sich umdreht, sieht sie eine Mönchstonsur auf seinem Kopf.
    »Er ist erstaunlich«, sagt sie.
    »Er wird Ada Lovelace genannt. Wissen Sie, wer das war?«
    »Lord Byrons Tochter.«
    »Weit mehr. Ein Genie. Eine Visionärin. Wir haben diese Lok nach ihr benannt.«
    »Ich bin mir sicher, das hätte ihr gefallen.«
    »Vielleicht. Es genügt, dass wir uns ihrer ein wenig erinnern. Ich bin der Hüter«, sagt er. Und da Edies Mund wohl offen steht, während sie überlegt, wie sie höflich nachfragen könnte, fügt er hinzu: »Vom Orden von John, dem Werker.« Und als sie nicht sofort nickt, ergänzt er noch: »Die Ruskiniten.«
    Es war Edie bis zu diesem Moment nicht in den Sinn gekommen, dass das Wort sich auch auf eine Vereinigung beziehen könnte. Ein Ruskiniten-Erzeugnis würde handgemacht sein, grübelt sie, gut durchdacht und sehr individuell. Es würde dem menschlichen Standpunkt Respekt zollen. Sich bemühen, das Göttliche im Alltäglichen aufscheinen zu lassen. Eine bewundernswerte Qualität in einem, sagen wir, Teeservice und selbst bei einer gigantischen Lokomotive.
    Aber ein Ruskinit als Mensch ist wiederum etwas anderes, und dieser Aspekt ist ihr auch nicht so ganz geheuer. Eine seltsame Art von Christ muss das sein, dem arbeitenden Menschen ebenso zugeneigt wie der Suche nach dem Sinn des Lebens.
    Der Hüter lächelt.
    »Was?«, will Edie Banister wissen.
    »Sie versuchen herauszufinden, ob ich ein Techniker oder ein Sektenmitglied bin«, erwidert er.
    »Das stimmt wohl.«
    »Hervorragend, Miss Banister. Sehr gut, in der Tat. Kommen Sie. Ich zeige Ihnen den Lovelace . Nebenbei können Sie mich ausfragen.« Und zu ihrer Überraschung bietet er ihr seinen linken Arm an, wie ein Baron einer Herzogin.
    Der Lovelace ist elf Waggons lang. Es gibt Wohnbereiche, eine Küche, Badezimmer und zwei Wagen voller seltsamer Maschinen aus Glas und Metall, die der Hüter nicht erklären mag, die aber auf Edie wie eine Mischung aus einer Frankiermaschine, einer Spieldose und einem Abakus wirken. Sie kombiniert, dass sie etwas mit Zahlen zu tun haben müssen und daher mit der Logistik und vielleicht auch mit Chiffrierungen.
    Es gibt eine Funkstation, einen Technikraum und zwei Verwaltungsbüros, einen privaten Aufenthaltsraum für Abel Jasmine und einen Durchgang zur dahinter liegenden Lok. Angefangen beim Schienenräumer ganz vorn (der ursprünglich von einem Freund der echten Ada Lovelace entworfen, von den Ruskiniten nachgebaut und eigens von einer Gießerei in Padua angefertigt wurde) bis zu den verzierten Schmiedearbeiten auf der Rückseite des letzten Waggons gibt es keinen Millimeter, der nicht von Hand hergestellt wurde und von Hand instand gehalten wird.
    »Dieser Zug ist unser

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