Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
tiefen, erdigen Lachen und sagt, die schweren Hände am Lenkrad, dass es eigentlich »Captain Baines« heißen müsste, dass Edie sie aber auf jeden Fall Amanda nennen solle.
    Captain – wie der Kapitän eines Schiffes?
    Ja. Die gute Cuparah .
    Ist das ein großes Schiff?
    Es ist ein Forschungsschiff.
    Was für eine Art Forschung? Was für ein Schiff?
    Amanda Baines holt eine schmale weiße Tonpfeife hervor und lässt sie sich von Abel Jasmine anzünden.
    »Ein Ruskiniten-Schiff«, erwidert sie, und ihre grauen Augen blicken Edie durch den Rauch an.
    Edie hat das Wort noch nie gehört, was sie aber nicht zugeben will. In den kühlen Klassenzimmern von Lady Gravely hat sie die Werke eines Kunsthistorikers namens John Ruskin studiert, der sich selbst den griechischen Namen Kata Physin (»Der Natur entsprechend«) gegeben hatte. Seine Abneigung gegenüber den Prozessen der industriellen Baukunst hat ihn darüber hinaus dazu veranlasst, die Lady Gravely School in einem seiner Texte als »arm an Herz, ohne Seele und für seine Funktion ungeeignet, ein Eitergeschwür von einem Bauwerk, das auf dem Fundament Shropshires wuchert« zu bezeichnen. Eine Einschätzung, der Edie sich nur anschließen kann. Sie stellt sich Ruskin vor, wie er bekümmert am äußersten Ende der Einfahrt an einer Eiche lehnt und in sein Notizbuch schreibt: Lady G, Shrop, verdammt scheußlich. An die Times schreiben. Keine Gnade walten lassen.
    Also. Ruskin war gegen die Standardisierung. Er hat es geschätzt, wenn jeder Aspekt eines Bauwerks das Produkt einer einzigartigen menschlichen Seele war, und damit (unvermeidlicherweise) ein Ausdruck seiner Beziehung zu Gott. Also bitte.
    »Ein einzigartiges Schiff.«
    »Ja.«
    »Ein besonderes Schiff.«
    »Wir finden schon.«
    »Ein … ein Schiff im neugotischen Stil?«
    Amanda Baines gibt ein schnaufendes Geräusch von sich, das genauso gut Zustimmung wie Ablehnung ausdrücken könnte, und mehr erfährt Edie nicht, da sie am Bahnhof Paddington angelangt sind und sie, durch die Düsternis und den Rauch hindurch, den Zug sehen kann.
    Heute, im Jahre des Herrn 1939, verfügen natürlich viele bedeutende Persönlichkeiten über Privatabteile, die an einen Zug angehängt werden können, um den Anspruchsvollen – also den Wohlhabenden und Mächtigen, deren Horizont nur so weit reichen muss, um zu begreifen, dass sie wichtiger sind als alle anderen – eine Bahnreise zu ermöglichen, bei der sie nicht vom gewöhnlichen Volk behelligt werden. Von den Waggons der Rothschilds, der Kennedys, der Spencers und der Astors wird in der Lady Gravely School nur im Flüsterton gesprochen, sind es doch Symbole des wahren Luxuslebens, auf die jedes Mädchen mit Charakter, Charme und Klasse zustrebt. Aber niemals hat jemand, von dem Edie bisher gehört hätte, einen gesamten Zug für sich allein gehabt, inklusive einer Lokomotive von der Höhe zweier Männer, verziert und ziseliert mit Messing und verkleidet mit Schwarzblech. Ganz gewiss verfügt niemand über etwas derartig Kriegerisches, etwas so Wehrhaftes, mit einem Schienenräumer am vorderen Ende, die Kabine des Lokführers gepanzert gegen eindringendes Feuer. Und …
    »Dampf?«, murmelt Edie.
    »Ha!«, sagt Abel Jasmine. »Dachte mir, dass Ihnen das gefallen würde. Er legt mehr als hundert Meilen pro Stunde zurück und macht dabei kaum ein Geräusch. Und natürlich verbrennt er alles, was man ihm in den Ofen wirft, und so setzt er unseren Ressourcen nicht so sehr zu wie eine mit Erdöl betriebene Lok.«
    »Aber er ist verwundbar«, räsoniert Edie gegen ihren eigenen Willen, »ein Schuss auf den Druckkessel …« Sie bricht ab. Anmerkungen wie diese haben Miss Thomas dazu gebracht, sie als hoffnungslosen Fall zu bezeichnen.
    »Ganz recht, Miss Banister«, ruft Abel Jasmine hocherfreut aus, »in der Tat, ganz recht, deshalb bleibt der Dampf auch immer im Inneren des Fahrzeugs, und der Zylinder ist stark gepanzert. Aber nichtsdestotrotz haben Sie unseren wunden Punkt entdeckt. Gut gemacht. Der Ada Lovelace ist ein Kompromiss aus Tarnung, Stärke, Vielseitigkeit und Sicherheit. In keiner Hinsicht perfekt, nur insofern, als dass alles zusammen hervorragend funktioniert.«
    Amanda Baines – die Frau, die über ihr eigenes Schiff verfügt – schaut Edie an, als wolle sie sagen: »Jungs und ihr Spielzeug!« Doch Edie lächelt das unfassbare Fahrzeug an. Nicht um seiner selbst willen, sondern um der Welt willen, die es verspricht. Über einen eigenen Zug zu verfügen,

Weitere Kostenlose Bücher