Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
Camden Town ist gut zu ihr gewesen. Sie hat sich ein paar Sicherheitsnadeln von dem respektablen Spanner besorgt, der am Ende der Straße eine Reinigung betreibt, und alles zu einer formidablen neuen Identität zusammengeführt: verrückte alte Punk-Lady.
    Das Pig & Poet macht als Pub nicht allzu viel her. Es gibt nur ein paar Tische und eine erbärmliche Jukebox, die noch nicht einmal richtig funktionieren wollte, bevor Edie mit Hilfe einer ihrer Sicherheitsnadeln einen Kurzschluss und einen stechenden Geruch nach geschmolzenem Plastik heraufbeschworen hat. Der Schankraum ist jetzt teilweise in Dunkelheit getaucht, was gerade so überdeckt, was für ein trauriger und schäbiger Ort das hier ist.
    Der Ire, der den Pub früher geführt hat – ein schwungvoller, ungemein profaner kleiner Mann mit einer Neigung zu stämmigen Frauen –, hat kraft seiner Persönlichkeit in seinem Laden immerhin noch für etwas Freude gesorgt. Inzwischen hat es ihn offenbar nach Exeter verschlagen, und seitdem ist er nicht mehr gesehen worden. Seit seinem Aufbruch ist im Schankraum alle Poesie verebbt, und was übrig geblieben ist, geht entschieden in Richtung Pig. Daher ist es auch nicht schwer gewesen, gegen Bargeld den Dachboden zu mieten – ohne Nachfragen.
    Edie geht mit sich selbst ins Gericht. Schon vor langer Zeit hat sie sich unüberlegte Tötungen untersagt. Und wenn ihr vor Kurzem stattgefundenes Schussgelage auch der Hitze des Moments zugeschrieben werden kann, so sollte doch jedem Todesfall in Würde gedacht werden, vor allem, wenn sie selbst nicht ganz unschuldig an ihm ist. So viele Arten zu kennen, wie man ein Leben auslöschen kann – und die Macht, die daraus erwächst, dies auch schon getan zu haben –, muss wenigstens dadurch ausgeglichen werden, dass man darüber reflektiert, was es bedeutet, die Lebensgeschichte eines Menschen zu Ende gebracht zu haben.
    Während sie an ihrer Cola-Rum nippt, nimmt Edie sich einen Moment, um darüber nachzudenken, ob sie womöglich eine andere Wahl gehabt hätte, als Biglandry et fils abzumurksen. Es mögen schäbige, heimtückische, korrupte Männer gewesen sein, aber sie waren auch wunderbare Wesen, hinreißende, komplexe Geschöpfe. Vielleicht haben auch sie, auf ihre eigene Weise, geliebt. Gekaufte Söldner waren es, gewiss, und ungehobelt noch dazu. Doch das heißt nicht, dass es nicht auch Väter und Söhne gewesen sind. Wird Mrs Biglandry jammern und wehklagen? Natürlich wird sie das tun. Ihr Entsetzen wird nicht durch den Beruf ihres Gatten beschwichtigt werden – falls sie diesen je herausfindet. Ihr Sohn wird nicht weniger zum Waisen, noch wird ihrer Tochter weniger das Herz brechen, wenn sie zu erklären versucht, dass Biglandrys Ende ein gerechtes war.
    Wenn ich doch nur jünger wäre , denkt Edie. Oder Verbündete besäße. Oder wenn ich etwas länger nachgedacht und ein wenig besser geplant hätte. Sie geht die Rechnung noch einmal in ihrem Kopf durch. Zwei getötet, einen verschont. Kein guter Schnitt, doch es hätte schlimmer kommen können. Aber auch besser, du alte Kuh.
    Auf die Toten also, die dummerweise durch ihre eigene Inkompetenz und meine Erfahrung aus dem Leben geschieden sind. Einen Toast auf die lange Gewohnheit des Überlebens. Es tut mir leid, Mrs B und all ihr kleinen Bs. Wirklich. Wenn ich sie zurückholen könnte – aus sicherer Distanz und nicht ohne ihnen, der Gerechtigkeit zuliebe, einen ordentlichen Tritt in die Weichteile zu verpassen –, dann würde ich es tun. Niemand ist so scheußlich, dass er es verdient, ausgelöscht zu werden.
    Vor langer Zeit und weit entfernt von hier ist Edie Banister einst gesagt worden, dass eine jede Seele unfehlbar ihren eigenen Wert erkennen könne, wenn sie sich im Auge eines Elefanten spiegelt. Sie fragt sich, was sie wohl zu Gesicht bekäme, wenn sie selbst nun in den Londoner Zoo ginge und nahe genug an die Tiere herankäme, um es auszuprobieren. Die Frage nach dem Wert ihres Lebens ist ihr in den vergangenen Monaten oft durch den Kopf gegangen. Sie spürt, wie eine Kälte nach ihr greift, ein Frösteln, das sie nur zu gut kennt, wenn es auch in diesen Tagen eine schreckliche Endgültigkeit besitzt. Mrs Crabbe (die sie nicht ausstehen kann) hat erst kürzlich in diesem Zusammenhang gesagt, dass Edie eine Art hellseherische Gabe haben müsse. Woraufhin Edie nur bei sich gedacht hatte: Jeder, der nach neun Jahrzehnten auf der Erde den Tod nicht näher kommen fühlt, ist höchstwahrscheinlich ein

Weitere Kostenlose Bücher