Der goldene Schwarm - Roman
man es behalten oder verkaufen soll, und dabei in seltenen Fällen auf etwas ganz Besonderes oder Bizarres zu stoßen. Einmal zum Beispiel hat Mathew in einer Kassette, die aus einer Bank in Essex stammte, einen menschlichen Kieferknochen gefunden, gehüllt in ein bröckliges Stück Stoff, zusammen mit einer Karte, die ihn als Reliquie des heiligen Hieronymus identifizierte.
Scotch und heißer Kaffee haben den Absinth ersetzt. Harriet raucht eine Zigarette in einer langen Spitze, andere greifen zu Zigarren und Pfeifen.
Auf dem Tisch sind die Kassetten aus den Sicherheitsschließfächern sauber aufgereiht, und vor jeder einzelnen machen sich die besten und unehrlichsten Schlosser des Landes warm: Tante Caro mit einer Pfeife zwischen ihren vorstehenden gelben Zähnen und in einem tief ausgeschnittenen Kleid, das bemerkenswert kegelförmige weiße Brüste offenbart, als sie sich vorbeugt; Onkel Ben, der, obwohl es im Haus warm wie in einem Gewächshaus ist, ganz in Schafswolle gekleidet ist – Schweiß läuft von seinen über die Glatze gekämmten Haaren über sein rotes Gesicht; und Onkel Freemont, der in Bermuda geboren wurde und über Finger verfügt, die lang sind wie Spinnenbeine.
»Seid ihr bereit?«, erkundigt sich Mathew Spork vom Sofa aus, wo Harriet ihre in Strumpfhosen steckenden Beine über seinen Schoß gelegt hat und näher rutscht, um sich an ihn zu schmiegen.
Sie nicken. Natürlich sind sie bereit. Spanngeräte und Picks liegen blitzend nebeneinander aufgereiht, dazu Harken in verschiedenen Größen. Jeder Beutel enthält zudem einige Dietriche, nicht für den Wettbewerb, sondern für später, wenn es nur noch darum geht, zügig die Beute durchzugehen.
»Drei, zwei, eins … macht sie auf!« Weil es sich um ein Wettrennen handelt, wird dies mit großer Ernsthaftigkeit und Nachdruck ausgesprochen. Wie viele Kassetten kann jeder Schlosser in zehn Minuten öffnen? Die äußeren Schlösser sind natürlich alle gleich, aber die Kassetten haben noch eine zweite, innere Ebene, an der jeder Bankkunde sein eigenes Schloss anbringen muss. Und während sie sich an den schwierigen inneren Schlössern abmühen, kommentieren die Lehrlinge leise tuschelnd die Techniken.
Umgeben von Gelächter und den Gesprächen der Erwachsenen, erlernt der kleine Joe die Geheimnisse von Kolben, von Verschiebungen und Dietrichschlüsseln, von Spannungen und Torsionen, und fügt so eine weitere kuriose Kunstfertigkeit seinem Repertoire hinzu.
Tante Caro ist die Schnellste gewesen, erinnert er sich, während er in einem benommenen Halbschlaf auf dem Sofa im Raspberry Room liegt. Man könnte allerdings mit Fug und Recht behaupten, dass sie zu unlauteren Mitteln gegriffen hat. In der dritten Runde klagte sie über die Hitze, zog sich obenrum komplett aus und ließ alles frei baumeln. Mit ihren muskulösen, in Schweiß gebadeten nackten Schultern und starken Händen machte sie weiter. Die zwei Männer glotzten sie bloß an, und dann fragte Onkel Freemont sie glattweg, ob sie ihn heiraten wolle, woraufhin sie erwiderte, sie würde niemals einen Mann heiraten, ohne seine Referenzen gesehen zu haben. Bei ihr klang das Wort so schmutzig, dass selbst der kleine Joe ahnte, dass sie irgendetwas Sexuelles damit gemeint hatte. Zwar hatte sie einen Mund voller schlechter Zähne und war recht füllig um Brust und Taille, verfügte aber über einen direkten Draht zur Libido der Männer. Später ging sie gemeinsam mit Onkel Freemont nach Hause, um die weiteren Formalitäten unter vier Augen zu klären.
Dieser unbeschwerte Abend markierte für Mathew Spork den Anfang vom Ende. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass er sein Betätigungsfeld verschieben, eine Machtbasis aufbauen und sich – zumindest bis zu einem gewissen Grad – der gesetzestreuen Wirtschaft anschließen sollte. Die Mafia habe ja schließlich auch Frank Sinatra, sagte Mathew. Sie hatte Filmstars unter sich und beherrschte Casinos. Warum konnte Mathew Spork das nicht auch?
Er kaufte sich in eine Kette von Zeitschriftenläden ein, erwarb Postkonzessionen und einen Vergnügungspark an der Küste, trat einem Club namens Hawkley’s bei und versuchte ohne große Begeisterung, sich auf einige Jobs mit geringem Risiko und Trickdiebstähle zu beschränken. Er stahl Unterwäsche aus den Schlafzimmern von durchreisenden Starlets und bemühte sich angestrengt, von ihnen erwischt zu werden, während er mit seiner Karnevalsmaske über den Augen zur Tür hinausging. Er tauschte die
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