Der goldene Thron
Gemeinsamkeiten mit dem verstorbenen Vater entdeckt und bereits vergessen geglaubte Erinnerungen an ihn aufgefrischt. Der Aufbruch ins Heilige Land, wo ihn Ungewissheit, vielleicht Schmach und Tod erwarteten, fiel ihm nach diesem Besuch nicht leichter.
Guillaume war deutlich geworden, wie sehr er das milde, unbeständige Wetter Englands und die oft raue Witterung der Normandie liebte. Blauer Himmel, Wolken, Regen, Wind und Frische waren in seinem Leben stets im Wechsel gewesen und hatten es niemals langweilig werden lassen. Im Heiligen Land, so hatte er gehört, war es zuweilen wochenlang so heiß wie in der Hölle. Eine Qual für die Kreuzritter mit ihren eisernen Kettenhemdenund eine große Herausforderung für ihre schwer beladenen Pferde. Guillaume starrte hinaus auf die unruhige See. Auf der anderen Seite des Kanals lag seine Heimat. Die Überfahrt war stürmisch gewesen, das Schiff hatte geschwankt wie eine Nussschale, doch zum Glück war ihm auch diesmal nicht übel geworden. Ein geborener Seefahrer sei er, hatten ihn die Matrosen gelobt. Guillaume schloss kurz die Augen und sog die feuchte, salzschwere Luft genießerisch ein. Ob er England je wiedersehen würde?
Eine Hand legte sich sanft und doch entschlossen auf seine Schulter. Durch das Tosen des Windes hatte er niemanden kommen gehört, trotzdem erschrak er nicht. Er brauchte sich nicht umzuwenden, um zu wissen, dass es Baudouin war, der hinter ihm stand, denn er erwartete ihn schon sehnsüchtig. Die Kraft und die Lebensfreude, die er an seinem jungen Freund so schätzte, schienen sich durch die Berührung auf ihn zu übertragen.
»Ich bin froh, dich zu sehen!« Er wandte sich um und lächelte Baudouin an.
Der Freund umarmte ihn voller Herzlichkeit. »Ich bin gerade erst angekommen. Lass uns ein paar Schritte gehen, ich habe mir das Hinterteil ganz flach gesessen!«
Schweigend wanderten sie den schmalen Weg oberhalb der Küstenlinie entlang.
Das Gras war noch feucht vom Regen der letzten Tage, und die Erde roch nach Frühling und Lebensanfang. Auch wenn noch immer ein paar Wolken zu sehen waren, die der Wind wie eine Herde Schafe über den Himmel trieb, so schien doch das Grau in Grau des Winters der Vergangenheit anzugehören, und das Blau, das hier und da am Himmel hervorlugte, versprach einen schöneren Tag als den vorigen. Guillaume betrachtete die Wolken, die über ihm dahinzogen. Sie waren ebenso Teil der Normandie wie das zarte Rosa der Apfelblüten, das dunkle Braun der fruchtbaren Erde oder das saftige Grün der Wiesen, das ihn an die Farbe von Ellens Augen erinnerte.
Baudouin blickte ebenfalls nach oben und blähte die Nasenflügel.»Wird Zeit, dass der Sommer kommt!«, murmelte er. Schweigend gingen sie noch ein ganzes Stück nebeneinander her, bis sie schließlich kehrtmachten. »Wann wirst du nach Jerusalem gehen?«
Guillaume wich Baudouins fragendem Blick aus, bückte sich kurz, um ein paar Steine aufzuheben, und begann, sie einen nach dem anderen mit aller Kraft fortzuschleudern, ohne dabei ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. »Als ich ein Junge war, habe ich mit solchen Steinen Jagd auf Vögel gemacht«, sagte er. »Ich breche in wenigen Tagen auf. Ich war bereits in England und habe mich von meiner Familie verabschiedet.«
»Hast du Ellen besucht?«
»Oh, nein!«, stieß Guillaume hervor und schnaufte. »Sie dürfte seit Limoges kaum noch gut auf mich zu sprechen sein!« Nach einer Weile gedankenversunkenen Schweigens räusperte er sich. »Aber ich habe zwei Tage in der Nähe der Schmiede auf der Lauer gelegen und sie und den Jungen beobachtet«, gestand er. »Sie hätte mich gewiss nicht mit offenen Armen empfangen, und William hält mich ohnehin nur für einen ihrer vielen Kunden!« Guillaume blieb stehen und sah Baudouin an. »Lass dich bei ihr blicken, wenn du in England bist, und hab ein Auge auf meinen Sohn, wenn es dir irgend möglich ist. Bitte!«
Baudouin nickte und legte den Arm um seine Schultern. »Gewiss doch, mein Freund. Achte du nur gut auf dich. Dass du mir nicht in die Hände der Sarazenen fällst!« Er kickte einen achtlos fortgeworfenen, zerbrochenen Krug zur Seite. »Hier, für die Reise.« Baudouin streckte Guillaume einen gut gefüllten Beutel entgegen.
»Ich brauche nichts.« Guillaume schüttelte den Kopf und lächelte dankbar. Viele Menschen hatten ihm in den vergangenen Monaten Geld zugesteckt. Auch der König. Erstaunlich freundlich hatte er ihn nach der Beerdigung seines Sohnes empfangen. »Der
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