Der Goldkocher
ich mich besinne«, fragte der Richter, »bist du hier vor dem Leipziger Tor aufgegriffen worden. Der Herr Apotheker hat dich gnadenhalber aus dem Waisenhaus herausgeholt. Du solltest ins Arbeitshaus, aber…«
»Lips war auch immer ganz dankbar«, unterbrach Pfarrer Porstmann. »Nein, Herr Richter, für unseren Lips verwende ich mich mit ganzem Herzen. Und der Herr Richter möge bedenken, wie die Banditen ihm den Arm zerborsten haben. Und der grausame Schlag auf den Kopf! Und wenn ich mich recht besinne, hab ich den Namen Lips doch schon einmal gehört. Ich weiß nur nicht mehr…«
»Ja, der Name ist sehr selten«, sagte Richter Brandenburg. »Es gibt noch einen Tullian, Räuberhauptmann Lips Tullian. Er steht – nein, genauer gesagt – er stand auf den sächsischen Fahndungslisten. In Dresden ist dieser Tullian nämlich mit seinen Diebsgefährten aufgegriffen worden. In der Vorstadt, in der Diebesschenke Zum Güldenen Euter.«
Der Vater war wieder verhaftet! Lips war in diesem Augenblick erleichtert und wusste nicht, ob er sich freuen sollte. Auf jeden Fall war der Vater weit weg!
»Güldenes Euter!« Der Apotheker lachte bei dem Namen der Schenke auf. »Was für Namen für Diebesschenken! Hier in Berlin das Güldene Horn und in Dresden das Güldene Euter! Bei den Banditen ist wohl alles gülden!«
»Der Diebesstrich der Bande von Tullian war immer in Sachsen und im Böhmischen um Prag herum«, sagte der Richter. »Hier ist Tullian mit seinen Raubgenossen nie aufgetaucht. Bis jetzt jedenfalls. Aber ich werde an die Justizbehörde nach Dresden schreiben. Vielleicht gibt es eine Fährte – wenn die Behörden überhaupt antworten. Selbst den Bericht über den Tod von Kunkel von Löwenstern hab ich schon zweimal angemahnt. Die Herren wissen ja selbst, wie schlecht unsere Amtsbeziehungen nach Sachsen seit der Flucht von Böttger geworden sind. Gottlob stehe ich mit dem sächsischen Gesandten hier am Hofe auf gutem Fuß.«
»Dieser Lips Tullian«, fragte der Apotheker, »ist das nicht dieser Räuber mit dem Brecheisen?«.
»Ja«, sagte der Richter. »Berühmt und berüchtigt ist der Kerl für seine Rohheit und Unverfrorenheit. Der Satan persönlich und spielt sich als feiner Herr auf! ›Kavalier mit dem Brecheisen‹ lässt er sich nennen. Er saß schon etliche Male in Kerkerhaft, aber diesmal werden die Sachsen ihn nicht wieder entkommen lassen. Sie haben ihn in schwerste Eisen gelegt und ans Mauerwerk geschlossen. Zweimal war er schon auf der Tortur. Sie haben ihm die Schrauben angelegt, aber der Kerl hat durch alle Grade standgehalten. Bisher jedenfalls, wie mir zugetragen wurde. Unser Hinweis…«
»Ich glaube«, unterbrach Pfarrer Porstmann, »wir brauchen unseren Lips dann nicht mehr? Oder hat der Herr Richter noch eine Frage?«
Die Lippen des Richters gingen einige Male leer, als würde er sich nicht fügen wollen. »Nein, vorerst nicht.«
Lips war der Mund trocken, und er musste schlucken, bevor er grüßen konnte. Draußen musste er sich einen Augenblick besinnen, dann hastete er hinunter in den Keller, schloss die Tür hinter sich ab und steckte in Windeseile das Horchrohr in den Kamin.
»Es waren also zwei Banditen, die hier beim Hehler waren«, hörte er die Stimme von Pfarrer Porstmann.
»Soweit der Junge vom Wirt die Wahrheit gesagt hat«, sagte der Richter.
»Und gesehen hat der Junge niemanden?«
»Wie es scheint, nicht. Die Banditen waren sehr vorsichtig.«
Lips hörte noch, wie der Richter anerkennende Worte über den Mut von Pfarrer Porstmann fand, wie dieser damals über die Buhlsucht am Königshof gewettert hatte. Pfarrer Porstmann lud den Richter daraufhin zu einem Hausgottesdienst in der kleinen Gemeinde der Erwählten ein. Dieser sagte dankend zu. Ja, so gehe es auch nicht mehr mit dem gemeinen Staatswesen weiter, da teile er ganz gründlich die Auffassung des Herrn Pfarrer. Man habe ja schon öfter ganz im Vertrauen miteinander darüber gesprochen. Dann verabschiedeten sich die Männer, und es war ruhig.
Lips saß eine Weile einfach nur da. Die Gedanken gingen wirr durcheinander. Der Vater lag in schweren Eisen und wurde gefoltert! Dann wieder hatte er das Bild vor Augen, wie der Vater sich über Anna hermachte. Er empfand Genugtuung und wünschte sich, der Vater würde nie wieder in sein Leben treten, ihn doch endlich in Ruhe lassen. Lips nahm eine Flasche mit Quecksilber und ließ sie etwas kreisen. Er beobachtete das Quecksilber, wie es hin- und herschwappte. Sie sollten
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