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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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Fahndungsschreiben denken. Er schloss die Augen und sah die Schnipsel auf den Wellen tanzen. Es stand geschrieben, der wahre Name des Vaters wäre unbekannt. Wie sollte der Vater denn sonst heißen? Auch hätte der Vater keine Frau gehabt. Von einem Sohn, dachte Lips erleichtert, stand auch nichts geschrieben. Es gab also keine Fährte zu ihm. Es blieb nur der ungewöhnliche Vorname, der auf seinen Vater hinwies. Aber warum hatten sie das Fahndungsschreiben hier im Rathaus aufgehängt? Der Vater hatte nie davon erzählt, dass er einmal in Berlin gewesen wäre. Nur von Dresden, Prag und anderen Städten, wo sie ihre Raubzüge gefeiert hatten. Aber was ging ihn das denn noch an! Er war schließlich nicht mehr unter den Kochemern!
    Trotzig wälzte Lips sich auf die andere Seite und beschloss, nur noch nach vorne zu schauen und das alte Leben zu vergessen. Endgültig, sagte er sich. Der Vater war doch weit weg! Es war alles nur in seinem Kopf. Schloss er die Augen, dann spürte er hinter seiner Stirn, wie er dort dachte, sich erinnerte und träumte. Die Bilder waren dort. Dabei war alles gar nicht wirklich. Es waren nur Gedanken, die hinter seiner Stirn kreisten! Wovor sollte er denn Angst haben! Er war jetzt frei vom Vater und fand sich immer besser in sein neues Leben.
    Wo konnte er nur etwas zu lesen herbekommen? Und im Schreiben musste er sich üben. Er rechnete im Dunkeln seine Groschen durch, die er für Schreibzeug sparte, und merkte, wie ihn die quälenden Bilder wieder anfliegen wollten, und dachte ganz angestrengt an Anna, bis ihm ihr Gesicht erschien. Die quälenden Bilder versuchten wieder Oberhand zu gewinnen und rangen mit denen von Anna. Er dachte ganz fest an sie, imaginierte, bis er sah, wie sie ihre Locke aus dem Gesicht blies, er sammelte alle seine Gedanken und drängte die anderen Bilder zurück, bis er Anna ganz deutlich vor sich sah, wie sie den Finger mit Spucke benetzte und über die Augenbraue strich, ihn dabei begehrlich anblickte. Nein, vor dem Vater brauchte er keine Angst mehr zu haben, und schließlich kroch ihm Annas frischer Schweißgeruch in die Nase.

8
    Zum Wechsel ins Jahr 1700 wurde die Residenzstadt an allen sichtbaren Ecken herausgeputzt. Die Gassen waren überlaufen mit Menschen unterschiedlichen Standes, die von weit her geströmt kamen, um die aufwändigen Feierlichkeiten mitzuerleben. Wie in jedem Jahr wurden auch Kochemer von den Neujahrs-Festlichkeiten angezogen, aber in diesem Jahr waren es besonders viele. Auf dem Wochenmarkt schnappte Lips einige leise gesprochene Worte der Diebessprache auf und bemerkte Männer, die sich mit lauerndem Blick durch die Menge zwängten und immer das dichteste Gewühl suchten. Lips wollte nicht in ihrer Nähe sein, und wo er Kochemer vermutete, ging er ihnen aus dem Weg.
    Am Silvesternachmittag musste Lips noch eine Arznei austragen. Zum Abend war ein Feuerwerk im Lustgarten angekündigt, für das Feuerwerker schon Wochen vorher hohe Gestelle aufgebaut hatten, und Lips lief schnell durch die Gassen, um rechtzeitig zurück zu sein. In der ganzen Stadt waren Trink- und Tanzbuden aufgebaut. Die Menschen standen herum, warteten auf die Musikanten und tranken sich ein. Auf der schmalen Jungfernbrücke drängten sich die Menschen, weil zwei Prachtkarossen von beiden Seiten gegeneinander standen. Die Kutscher schrien sich hoch oben von ihren Böcken gegenseitig an, weil keiner zurückweichen wollte. Die Menschen lachten, zwängten sich an dem Spektakel vorbei. Einige wagemutige Burschen schlugen im Vorübergehen mit der Faust gegen die Karossen, und Bettler kämpften sich vor und reckten ihre Hände zu den verhangenen Fenstern.
    Es dunkelte schon, als Lips zurück zur Apotheke kam. Er beeilte sich und wollte mit den anderen zum Feuerwerk losziehen, um einen guten Platz zu ergattern. Alle hatten sich herausgeputzt. Der Viehknecht stand in der Tür zur Gesindestube. Er rieb sich die Hände und strich sich immer wieder das Haar glatt und wartete darauf, dass die Mägde aus dem Haupthaus ein Zeichen aus dem Fenster gaben. Lips sollte sich beeilen, sie würden gleich losgehen.
    Lips zog sich schnell die Sonntagsjacke über und sprang die Treppe hinunter, da stellte sich ihm der Hausknecht in den Weg. Er wollte ausweichen, aber der Hausknecht erwischte ihn an der Jacke und wies ihn mit spitzem Zeigefinger an, er solle noch die Straße fegen. Und anschließend den Hof! Und dann müsse schließlich einer dableiben und das Haus verwahren! Lips musste sich

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