Der Goldkocher
fertigte Abschriften an. Als er fertig war, knüllte er die Bögen wieder zusammen und verteilte sie wie vorher auf dem Boden. Seine Abschriften verbarg er unter dem Hemd. Er musste sie unbedingt mit den Aufzeichnungen vergleichen, die er in seiner Kiste in der Schlafkammer verborgen hielt. Böttger forschte offensichtlich nach der Anima solis, einer Goldessenz – soviel Lips inzwischen davon verstand.
Dann las er in dem Buch, das aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Mit einem Ohr hörte er auf das Schnarchen des Betrunkenen.
***
Die Zeit rauschte vorbei. In den folgenden Wochen ging Böttger wieder von der Suche nach der Anima solis ab und forschte verstärkt mit Phosphor und Quecksilber. Lips war kargsilbig geworden, seit Böttger ihn beim Apotheker angeschwärzt hatte. Er tat, was Böttger ihm auftrug, und antwortete gefällig, wenn er gefragt wurde, aber meist war es ruhig im Laboratorium.
Böttger forderte wegen der zehrenden Dämpfe eine extra Portion zu essen, die Anna manchmal hinunter zum Laboratorium brachte. Sie stellte das Tablett vor der Tür ab, klopfte, und Böttger ging dann schnell hinaus, um sie noch zu erwischen. Lips versuchte mitzuhören, aber durch die starke Eichentür drang nur undeutliches Gerede und gedämpftes Gelächter. Anna prustete immer gleich los, als wäre Böttger der größte Witzbold. Lips kam es wie eine Ewigkeit vor, bis Böttger wieder hereinkam und mit seiner Arbeit weitermachte, als wäre nichts gewesen. Von dem Essen rührte er meist nichts an. Mehr war nicht zwischen den beiden, jedenfalls bemerkte Lips nichts – bis auf die schwarze Paste für Annas Augenbrauen, die Böttger einmal an der Wange hatte.
Aber was ging ihn das denn noch an? Nein, sagte er sich, die Sache mit Anna hatte sich verleiert. Ihm genügten die kühnen Bilder, die er sich von ihr machte – so sagte er sich jedenfalls immer wieder – und stürzte sich in die Arbeiten, die Böttger anwies. Er vergaß sich manchmal ganz über dem alchemistischen Fieber, das ihn ergriff.
So ging es über den Sommer. An den Tagen, an denen Lips von Böttger aus dem Laboratorium geschickt wurde, musste er bei den Apothekenarbeiten helfen oder die üblichen Botengänge machen. Er sagte sich immer wieder, dass er seine Vergangenheit nun endgültig hinter sich gelassen hatte, aber manchmal drängte es ihn wieder auf dem Rückweg ins Rathaus, wo er rasch die Aushänge studierte. An einem frühen Herbsttag hingen am Schwarzen Brett neue Fahndungsschreiben aus Sachsen. Lips zuckte zusammen, als er wieder seinen Namen las:
Lips Tullian, wahrer Name unbekannt, ein ehemaliger Soldat, 38-45 Jahre alt, 4 sächsische Fuß und 1-2 Zoll groß. Von kräftger Statur, breit von Schultern, runden Angesichts, trägt gute Kleidung und ist galant in der Erscheinung, meist beweibt und mit gutem Pferd, hat mehrere tolldreiste Einbrüche in Dresden und den umliegenden Dörfern begangen, er ist ein Haupträuber und hat gemeingefährliche Raubgenossen um sich gerottet. Für die Ergreifung ist eine Belohnung von 50 Talern ausgelobt.
Eine Belohnung war auf den Vater ausgesetzt! Lips überflog die anderen Blätter. Es waren alles Namen, die er nicht kannte: Christian Eckold, Bautz, ein Jude Salomon, Johann Gottfried Sahrberg, nach dem Fahndungsschreiben auch ›Student Friedrich‹ gerufen, Samuel Schickel, noch ein Jude namens Fiehel, Manne Friedrich und ein Münzfälscher namens Koch. Lips las nochmals sorgfältig alle Schreiben, weil es falsche Namen sein konnten oder er vielleicht nur die Diebesnamen kannte, aber auch an den Beschreibungen erkannte er niemanden aus der Grabich-Schenke wieder. Auch auf den Schwarzen Frieder passte nichts. Der Vater musste neue Banditen um sich geschart haben.
Lips blickte sich um. Am Ende des Flures saß eine junge Frau auf einer Bank. Sie war ganz mit ihrem Kind beschäftigt, das sie an den Armen immer wieder hochzog. Es juchzte und quiekte die Mutter an, als es auf ihrem Schoß zu stehen versuchte. Lips las noch einmal das Schreiben. Beweibt war der Vater, stand dort geschrieben, auch wäre er Soldat gewesen, und fünfzig Taler Belohnung hatten sie ausgesetzt! Ein Vermögen war das! Warum wurde das Fahndungsschreiben hier in Berlin ausgehängt? Er haderte mit sich, ob er das Blatt abreißen sollte, und beobachtete die junge Mutter, die ihn nun in ihrem Glück anlachte und um sein zustimmendes Lachen buhlte. Ach was! Der Vater ging ihn doch nichts mehr an! Nein, sollte sich doch einer von seinen Kumpanen
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