Der Goldkocher
noch was fragen, so schnell ist ja gein Groschen verdient… Du musst doch diesen Laborgnecht gennen!«
»Ich muss wirklich gehen, gnädiger Herr Leibniz. Der Herr Apotheker wartet auf mich.«
»Ich gann so doch nicht essen! Du musst mich füttern! Ich muss den Burschen ins Verhör nehmen. Griegst einen guten Groschen, wenn du mir den Gerl bringst.«
»Ich muss jetzt wirklich…«
Es klopfte wieder, und der Wirt trat mit einer Schüssel mit Soße ein. Lips verbeugte sich zu dem Gelehrten und ging zur offenen Tür hinaus.
»Schig mir diesen Laborgnecht, dann teilt ihr euch den Groschen!«, rief Leibniz mit seiner Fistelstimme hinter ihm her. »Hilft einem Grangen nicht, der Lümmel!«
***
Am Nachmittag musste Lips Wurzeln schneiden. Der Hausknecht kam zwischendurch und sah ihm auf die Finger, als wartete er auf irgendein Missgeschick. Der Hausknecht wollte gerade aus dem Arbeitsraum gehen, da erschien Anna in der Tür.
»Lips, du sollst zum Herrn Pfarrer hochkommen«, sagte Anna.
»Ich?«
»Na, heißt denn noch jemand Lips?!«
Der Hausknecht lachte übertrieben und schüttelte sich dabei, wie Lips es noch nie an ihm gesehen hatte, und wollte sich gar nicht beruhigen, wo es doch gar nichts zu lachen gab. Er ließ dabei seine Augen nicht von Anna, die seinen Blick erwiderte. Lips erhob sich missmutig. Er war schon am Hausknecht vorbei, als dieser schlagartig mit dem verbuhlten Lachen aufhörte und hinter ihm herrief: »Du sollst den Herrn Hausknecht nicht vergessen! Das hab ich dir schon mal gesagt!«
Lips sah die lauernde Herausforderung in den Augen des Hausknechtes. Er musste an die Hiebe mit dem Ochsenziemer denken und verbiss sich zu sagen, dass er doch gar nicht mit ihm gesprochen hatte. »Sehr wohl, Herr Hausknecht.«
»Und schau mich an, wenn ich mit dir spreche!«
»Sehr wohl, Herr Hausknecht.«
»Und dabei den Hut abnehmen, verstanden!«
»Sehr wohl, Herr Hausknecht.«
»Jetzt geh, und lass den Herrn Pfarrer nicht warten!«
»Sehr wohl, Herr Hausknecht.«
Lips konnte sich kaum bezwingen. Er biss sich auf die Lippe, ballte seine Hände in der Hosentasche und folgte Anna.
»Eine Ordnung muss halt sein«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. »Das musst du auch verstehen. Da muss der Hausknecht schon drauf achten! Sonst geht es doch drunter und drüber!«
Wie die Mutter damals sprach Anna! Zum ersten Mal ging Lips im Haupthaus die Treppe hoch. An den Wänden hingen Bilder von Landschaften, auch Jagdszenen und fromme Bilder.
»Hier wohnt der Herr Apotheker.« Anna stand vor einer Tür und legte einen Finger auf den spitzen Mund. »Hörst du? Die Zornin singt schon seit heute früh! Immer die gleiche Strophe! Ich kann's nicht mehr hören! Was meinst du, wie die geschrien hat, als der Herr Apotheker ihr die Bibel aus der Hand nehmen wollte! Sie schläft jetzt auch alleine in einer Kammer. Das ist doch kein Weib nicht, so eine. Die macht den Herrn Apotheker doch buhlsüchtig! Komm!«
Sie stiegen weiter hoch in die obere Etage. Anna klopfte leise an die Wohnungstür. »Der Herr Pfarrer hat's auch nicht besser«, raunte sie. »Die Frau Pfarrer hat wieder ihr Kopfgrimmen. Alle Fenster hat die verhängt!«
Der Pfarrer öffnete. »Ah, der Lips«, flüsterte er freundlich. »Warte hier, ich komme gleich. Anna, du kannst wieder gehen.«
Lips sah Anna nach, wie sie die Treppe hinunterging. Er wurde nicht klug aus ihr, wie sie ihn launisch behandelte, und er verstand sich selbst nicht, dass er trotzdem weiter eine tiefe Begierde spürte. Die Tür ging kurz darauf wieder auf. Pfarrer Porstmann trat mit einem kleinen Buch in der Hand in den Flur und zog die Tür leise hinter sich zu.
»Hier, ein lateinisches Buch.« Der Pfarrer hielt Lips das Buch hin. »Es ist von Gajus Julius Cäsar. Das erste Buch über den gallischen Krieg. Schau, es sind auch Bilder darin.«
»Für mich!?«, flüsterte Lips und traute sich nicht zuzugreifen. »Herr Pfarrer, ist das wirklich für mich?«
»Ja, nun nimm schon.« Pfarrer Porstmann lächelte ihn an. »Du dachtest wohl, ich hätte dich vergessen. Behandle es sorgsam, ich hab damit Latein gelernt. Hier, den ersten Satz kann ich noch auswendig. Vergleich die Worte.« Pfarrer Porstmann blätterte die erste Seite auf und hielt Lips das Buch hin. »Gallia est omnis divisa in partes tres«, sagte er aus dem Gedächtnis auf, »quarum unam incolunt…«
Lips hatte Mühe, die fremde Sprache zu lesen, und konnte nicht so schnell den Buchstaben folgen.
»Das Gesamtgebiet Galliens
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