Der Goldkocher
offensichtlich sehr komplizierte und vieldeutige Geheimzeichen. Lips meinte inzwischen aus dem Vergleich mit anderen Aufzeichnungen, die meisten Zeichen den Materien zuordnen zu können. Gewissheit konnte jedoch nur das Nachstellen der Versuche bringen.
***
Die schöne Jahreszeit kam wieder. Der Duft von keimendem Grün und aufgebrochener Erde lag in der Frühlingsluft, und manchmal, wenn der Hausknecht nicht in der Nähe war, stand Lips am Fenster und hörte dem Lachen der Kinder zu, die durch die Gassen johlten. Er schlug das Lateinbuch zu, verbarg es unter der Jacke und sagte sich, dass jetzt endlich etwas passieren musste. Die alchemistische Untätigkeit machte ihn ganz gereizt, wenn er an das Laboratorium im Keller dachte.
Die unverhoffte Gelegenheit kam am folgenden Sonntag. Er nahm wie meist am Hausgottesdienst von Pfarrer Porstmann in der Bibliothek teil. Er liebte es, von den Büchern umgeben zu sein und den gelehrten Duft zu schnuppern, den sie verströmten. Bei der Predigt studierte er die Aufschriften der Buchrücken und lauschte aufmerksam den Auslegungen der biblischen Texte, ob vielleicht Erklärungen darunter waren, die für die Alchemie von Nutzen waren. Er stand nach dem Gottesdienst noch ein wenig herum, da sah er durchs Fenster der Bibliothek, wie sich vor dem Haus das Gesinde versammelte. Die Ersten spazierten bereits in guter Laune zum Neuen Markt, wo als Sonntagsvergnügen zwei Männer, die beide falsch gegeneinander geschworen hatten, auf dem Esel aussitzen sollten. Lips hatte diese Bestrafung bisher noch nie gesehen und wollte später hingehen. Anna konnte er nicht erblicken.
Lips drehte sich wieder um und beobachtete einige Erwählte, die um Pfarrer Porstmann herumstanden. Sie stellten artig ihre Fragen und lauschten mit nickenden Köpfen den Worten. Auch der Apotheker stand mit seiner jungen Frau dabei. Ihre Schultern hingen traurig herab, als wäre nach dem Tod ihres ersten gesunden Kindes aller Lebensmut aus ihr gewichen. Ihr Anblick gab Lips einen Stich. Nur die Frau Pfarrer fehlte wie üblich. Sie hatte, wie erzählt wurde, seit Tagen Schädelsausen und verhängte ihre Fenster wegen des harten Frühlingslichtes. Lips stand etwas abseits in der Nähe der alchemistischen Bücherreihen, da sah er, wie die Zornin plötzlich vor dem Pfarrer kniete und nach dessen Hand griff.
»Nicht doch!« Der Pfarrer zog seine Hand zurück. Lips sah den Schreck im Gesicht des Apothekers. Der Pfarrer fasste die Zornin an den Schultern und zog sie wieder hoch. »Schwester im Herrn! Wir sind doch keine Papisten! Wir knien nur vor Gott, dem Allmächtigen!«
Der Apotheker atmete erleichtert auf, stellte sich vor seine Frau und machte mit den Armen eine ausladende Geste, als wollte er sie hinausbegleiten.
»Nein, lass Er mich los!«, sagte die Zornin mit schmalen Lippen und drehte sich von ihrem Mann weg.
In dem Augenblick wurde die Tür aufgestoßen. Der Justizrat von Haugwitz, der neulich wieder ein Fläschchen Bertramwurzeltinktur bestellt hatte, um es nochmals im ehelichen Sattel zu versuchen, stürzte herein. Für einen Augenblick war vom Hof das hitzige Lachen von Anna und dem Hausknecht zu hören, dann fiel die Tür wieder ins Schloss. Die beiden gingen vermutlich für sich alleine zum Neuen Markt, überlegte Lips eifersüchtig. Gerade der Hausknecht! Ach was, sollte sie doch rumhuren, mit wem sie wollte!
»Böttger!«, rief Haugwitz erregt. Sein Gesicht war schweißnass. Er drängte durch die Gemeinde zu Pfarrer Porstmann. »Dieser Böttger!« Schwer atmend stützte Haugwitz sich auf seinen Gehstock. »In Dresden im Goldhaus… Er hat wieder einen Goldklumpen gekocht. Mein Gott! … Vor den Augen des Statthalters. Einen Klumpen von ungeheurem Umfang. Ganz Dresden ist in Aufruhr.«
Die Erwählten sahen Haugwitz mit großen Augen an.
»Was weiß Er noch?«, fragte Pfarrer Porstmann.
»Die Nachricht hat hier am Hof die größte Bestürzung ausgelöst. Niemand wollte dem König die Nachricht überbringen.« Haugwitz tupfte sich mit einem Tuch die Stirn. »Böttger hat inzwischen einen Vertrag mit König August gemacht. Es werden unvorstellbare Mengen Gold erwartet. Der König hat bereits einige Münzmeister verpflichtet. Und sogar schon Zahlmeister zur Ordnung der Finanzen! Allein die Verwaltung des Reichtums wird Unsummen verschlingen!«
»Mein Gott!«, entfuhr es dem Apotheker.
»Ja, es ist nicht zu fassen! Von einer Million Goldmünzen ist die Rede!«
Es war einen Augenblick lang ruhig.
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