Der Goldkocher
zerfällt in drei Teile«, sagte der Pfarrer den Satz in deutscher Sprache. »In ihnen … nein. In dem ersten … Warte… So geht es auch nicht! Es ist schon so lange her!« Er nahm das Buch und las den Satz noch einmal leise vor. »Ja, jetzt hab ich's! Schau, das ist für den Anfang ein wenig schwierig. Also…«
Nach einiger Zeit horchte Pfarrer Porstmann kurz an der Wohnungstür, dann setzte er sich auf den Treppenabsatz und wies Lips mit der Hand an, sich neben ihn zu setzen. Dann erklärte er die Worte in ihrer Bedeutung und ihren Stand im Satz. Der Pfarrer gewann immer mehr Freude an der Übersetzung und verlor sich in der Zeit. Lips verstand fast nichts mehr, versuchte sich aber wenigstens die Bedeutungen der Wörter einzuprägen. Es war wie früher, als Arnold ihm die ersten Buchstaben beigebracht hatte!
»Jetzt muss ich hinein«, sagte Pfarrer Porstmann schließlich. »Ich muss noch ein Kapitel meines nächsten Buches schreiben.«
»Danke, Herr Pfarrer«, sagte Lips überglücklich und sah bewundernd zu ihm auf.
»Mein Sohn, danke nicht mir, sondern Gott durch deine Taten. Weißt du noch, was urbi heißt?«
»Stadt, glaub ich.«
»Gut, mein Sohn.«
Als Lips die Treppe hinunterging, sah er Anna, die in einer Nische hockte.
»Ich dachte schon, der hört gar nicht mehr auf!«, flüsterte Anna und sah ihn verwundert an. »Und wegen so was hat der dich gerufen?«
Eine Woche darauf stand Leibniz mit dem Hausknecht am Tor. Lips senkte den Kopf und wollte in den Stall flüchten, da winkte ihn der Hausknecht mit dem Ochsenziemer heran.
Widerwillig ging Lips hinüber.
»So, du bist das neulich also selbst gewesen!«, sagte Leibniz überrascht und wies den Hausknecht mit einer Bewegung seines Gehstockes weg. »Begleite mich ein Stück. Die Gnochen sind mir so schwer.«
»Gnädiger Herr, ich muss in die Stoßkammer.«
»Papperlapapp! Du wolltest dir doch den halben Groschen verdienen und von Böttgers Probe berichten! Einen ganzen Groschen gibt's ja nicht, weil ich ja nicht wusste, dass du selber der Laborgnecht bist. Da gann ich ja nicht doppelt zahlen.«
»Ich muss an die Arbeit, gnädiger…«
»Vielleicht gibt es auch mehr! Hör zu: Ich will auf Schloss Lutzenburg ein Laboratorium bauen. Ich brauch einen Laborgnecht. Ich zahle…« Leibniz schien zu rechnen. »Ich zahle jedenfalls gut, wenn du dich bewährst. Böttger hat mit Phosphor hantiert, wie ich hörte?«
Lips sah den Hausknecht am Brunnen stehen, wie er neugierig zu ihnen herübersah und mit dem Ochsenziemer gegen sein Bein schlug.
»Gnädiger Herr, ich verstehe nichts von der Alchemie. Ich muss jetzt…« Lips verneigte sich und ließ den Gelehrten stehen.
»Lümmel!«, rief Leibniz hinter ihm her. »Hilft einem Grangen nicht!«
28
Über die Wintermonate buchstabierte Lips sich immer weiter in die Sprache der Römer hinein. Anfangs übersetzte er immer wieder die Seite, die Pfarrer Porstmann mit ihm geübt hatte. Im Buch fand er Bilder, unter denen Erklärungen standen, und er versuchte die Bedeutungen der Wörter zu erraten. Lips knobelte mit den Buchstaben herum, fraß sich an den Sätzen fest und stellte die Worte so lange hintereinander, bis es einen ungefähren Sinn ergab. Anfangs gelang es meist nicht, dann wendete er sich dem nächsten Satz zu und kam beizeiten wieder auf die Lücken zurück, die sich mehr und mehr schlossen. Hatte Lips einen Satz ergründet, dann schloss er die Augen, bis er die lateinischen Worte vor sich sah, und murmelte die deutschen Worte dazu. Dann widmete er sich dem nächsten Satz.
Die anderen Burschen schauten befremdet, wenn sie ihn mit dem Buch der Römer in der Schlafkammer aufschreckten, und manchmal setzte es am Gesindetisch eine Hänselei über den ›Herrn Gern-Studenten‹, aber dies hörte auf, als der Viehknecht mit einem Brief zu ihm kam und Lips bat, ihn vorzulesen und ein Antwortschreiben aufzusetzen.
Von Böttger hatte er seit dem Gespräch zwischen Leibniz und dem Apotheker nichts mehr gehört. Zwischen den Lateinübungen holte er aus seiner Kiste immer wieder die Abschriften hervor, die er von Böttgers Aufzeichnungen gemacht hatte. Die Anleitung des Griechen Lascaris, so vermutete er inzwischen, war nutzlos: Wahrscheinlich war es eine Finte von Böttger gewesen, um die Versuche weiterführen zu dürfen. Die alchemistischen Zeichen schienen wahllos zusammengewürfelt. Anders war es mit den Aufzeichnungen, die Lips kurz vor der Goldprobe hatte anfertigen können. Böttger benutzte
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