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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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Purpur bedeckt, ein schweres Goldkreuz in den gefalteten Händen, das Gesicht wächsern und ohne Farbe.
    Der Platz vor dem Hochaltar wurde umringt von vielen Dutzend Novizen, die Weihrauch schwenkten und Fackeln in den Händen hielten. Das unruhige Licht erhellte die große Kirche und warf düstere Schatten an die Wände.
    Die Mönche sangen.
    Jeweils einer der Sänger eröffnete, und der vielstimmige Chor fiel mit tiefer Schwermut ein. Es erklangen lange, gleichmäßige Melodien, deren Folgen durch das kalte Kirchenschiff schwebten wie ein Hauch. Immer, wenn die Stimmen eine Pause machten, war ein leises Echo zu hören. Die Luft war schwer von dem kostbaren Weihrauch aus Myrrhe und Alaun, den die Mönche schon seit Stunden verbrannten. Zusammen mit dem Dunst der Fackeln lag ein schwerer Geruch in der Kirche, der das Atmen schwer geraten ließ.
    Der Papst war tot.
    Der Gesang trug weit, sehr weit.
    Auf den Straßen und den Plätzen der Stadt Avignon knieten die Menschen nieder und hörten, wie die Glocken der Domfestung läuteten, ohne Unterlass, die ganze Totenmesse über.
    Saulus hatte das Privileg erhalten, in derselben Reihe wie die besonders engen Leib- und Hofdiener des Verstorbenen zu stehen. Wie alle Anwesenden murmelte er zwischen den Gesängen ein Gebet nach dem anderen. Dabei weinte er still. Es war weniger die Trauer, eher der Schmerz darüber, dass auch ein Teil von ihm selbst gestorben war. Zwei Päpsten hatte Saulus in Demut gedient. Jetzt war er zu alt, um solch ein Amt noch einmal zu bekleiden. Es galt als sicher: Der nächste Papst würde wieder nach Rom zurückkehren. Eine solch weite und beschwerliche Reise fürchtete Saulus, denn dafür war er nicht mehr jung genug. So weinte er auch, weil neben all der Arbeit auch die Ruhe und die Abgeschiedenheit vor den Unbillen der Welt zu Ende war, mit der der Papst die letzten Jahre seines Lebens im Exil verbracht hatte.
    Saulus blieb nur noch, jetzt auf sein eigenes Sterben zu warten.
    Der Chor stimmte eine neue Strophe an, als der alte Mönch meinte, eine leise Berührung in seinem Rücken zu spüren. Er wagte nicht, sich jetzt umzudrehen, nur um zu sehen, wer hinter ihm stand, zumal es die Feierlichkeit der Zeremonie nicht angemessen erscheinen ließ.
    Eine Stimme flüsterte. Saulus erkannte sie, trotz des Gesanges, sofort.
    »Ich will Euch warnen, lieber Bruder«, sprach die Stimme leise.
    Der alte Mann spürte plötzlich sein Herz pochen, scheinbar lauter, als es der Gesang der vielen Mönche war. Denn es war die Stimme des Wallonen, die er hörte.
    »Sie wollen Euch befragen.«
    Der langsame, schwer getragene Gesang wiederholte sich erneut, Strophe um Strophe.
    »Welcher Art sind diese Fragen?«, murmelte Saulus kaum hörbar.
    Obwohl er nur flüsterte, folgte die Antwort prompt. »Urban von Scarfeta will wissen von Eurem Tun in jener Nacht, als unser Herr und Bruder starb.«
    »Weiß nur zu berichten über mein Amt.«
    Bei diesen Worten bekreuzigte sich Saulus plötzlich, hielt aber inne, als er merkte, wie ihn verwunderte Augen beobachteten. Dieses unheilvolle, unerklärlich Dunkle, das von dieser Stimme ausging, verwirrte den alten Mönch.
    »Ich tat, wie Ihr mir befohlen«, hauchte er. Seine Lippen bewegten sich kaum.
    »Nie befahl ich Euch etwas. Ich bat Euch um einen Dienst, nichts weiter«, flüsterte die Stimme hinter ihm erneut.
    »Aber … das Tränklein«, antwortete Saulus verwirrt.
    Der alte Mönch meinte, die Stimme auf einmal ganz nahe an seinem Ohr zu hören. »Sagte ich nicht, nie ein Wort zu niemandem?«
    Saulus sog kaum hörbar die Luft ein. Wie auf ein Signal setzte der tiefe Gesang der übrigen Mönche ein. Sie zogen, immer zwei Männer nebeneinander, jeder eine lange Kerze in der Hand, an dem aufgebahrten Leichnam vorbei.
    »Es ist nicht wichtig, was ich selbst glaube«, flüstere Fresenius’ Stimme weiter.
    »Was Scarfeta und seine Kurie glaubt, dies allein zählt. Und denkt Euch, Ihr erzählt ihm von einem Tränklein, das Ihr Clemens gabt, damit er bald gesundet. Saulus, seid Ihr ein Medicus, wird er Euch fragen? Was Ihr getan, darf dies ein Diener tun? Welch Antwort werdet Ihr darauf geben?« In Fresenius’ Stimme lag ganz leiser Spott.
    Saulus atmete schwer. Er spürte, wie ihn wieder diese seltsame Art der Übelkeit überkam, die er nie zuvor gekannt hatte. In diesem Moment wünschte er sich fast inständig eine plötzliche, erlösende Ohnmacht. So wie in den Reihen dort drüben, neben der Kirchenwand, wo schon einige

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