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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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und immer wieder fielen ihm die Augen zu.
    Cornelius hatte derweil in seinem Sack gekramt. Er zog eines der Bücher hervor und betrachtete es. Da schlug Gwyn die Augen auf und beobachtete den Gelehrten eine ganze Weile.
    »War es ein wichtiges Blatt?«, fragte Gwyn.
    »Nein, aber es schmerzt trotzdem«, sagte der Flame trocken.
    »Was steht in jenem Buch?«
    »Es sind allerlei Erzählungen«, entgegnete Cornelius feierlich. Und ohne auf Gwyn zu achten, begann er, mit feierlicher Stimme laut zu lesen:
    »Wenn der Aprilmond sanften Regen bringt,
    Der Märzendürre an die Wurzel dringt
    Und jeder Ader mit solch Säften schwellt,
    Dass diese Kraft erzeugt die Blumenwelt, …
    Wenn lust’ge Melodie das Vöglein macht,
    Das offene Auge schläft die ganze Nacht …
    Dann treibt das Volk die Wallfahrtslust
    Und Pilger, fortzuziehn zu fremdem Strande,
    Zu fernen Heil’gen, kund in manchem Lande.
    Er schwieg und blickte wie in Gedanken über das heitere Grün der Wiesen ringsum. Gwyn nickte ihm nur zu. Dazu war gar nichts zu sagen. Cornelius klappte das Buch zu und verstaute es sorgfältig in seinem großen Reisesack. Dann ergriff er einen weiteren Band, schlug ihn auf und begann erneut zu erzählen.
    »Dies Buch handelt über die Tiere in der Luft und in der Erden. Geschrieben ist’s in Latein. Es gibt nur zwei Exemplare, müsst Ihr wissen.«
    Bevor Gwyn darauf antworten konnte, schlug Cornelius seine Füße übereinander. Dann zog er sich das große Buch auf seine Knie. Der Faber erkannte, Cornelius war bei seinem Lieblingsthema: Bücher.
    »Alle Lebewesen dieser Erden, jene im Wasser, solche zu Landen und diejenigen aus der Luft. Seht her!«
    Gwyn mochte Bücher auch.
    Er erinnerte sich an die unzähligen Folianten im Hause des Fallen, die angefüllt waren mit Skizzen und Abbildungen über Gefäße und Schalen, so wie sie die Goldschmiede für die Kirchen und Adeligen fertigen. Aber das war alles vorbei. Alles war verbrannt. Neugierig geworden, ließ er sich von Cornelius Seite für Seite erläutern. Er betrachtete staunend die sorgsam gezeichneten Bilder, hatte er doch solcherlei noch nie zuvor gesehen. Seltsame Tiere waren auf den dicken Pergamentseiten abgebildet: mächtige Löwen, so wie sie im fernen Atlasgebirge zu finden waren, Krokodile aus Ägypten, wie riesige Drachen, länger als zehn Männer hintereinander aufgereiht. Dazu kamen Fische und Quallentiere, so wie sie in den Salzmeeren zu finden waren, ein Exemplar seltsamer anzuschauen als das andere.
    »Habt Ihr dies Buch gemacht?«, fragte er mit ehrlicher Bewunderung.
    »Oh nein, dies war ein Mönch. Er hat jedoch dies Buch nicht geschrieben. Wohl hat er es selbst kopiert. Verziert hat es ein Mitbruder seines Ordens.«
    Gwyn erinnerte sich an das Refektorium im Kloster von Dorchester, wo die Mönche in langen Reihen gebeugt über großen Büchern saßen, um zu schreiben und zu kopieren und jede Seite prächtig zu verzieren.
    »Was steht noch darin?«
    »Alles, was lebt auf dieser Erde. Die Vögel in der Luft, über die Fische und die Wesen der See und über alle Tiere und Menschen zu Lande.«
    »All diese Tiere … hat sie der Mönch selbst gesehen?«
    »Nein, wohl nicht, junger Freund. Der fromme Mann war kein Reisender. Er hörte es nur aus Erzählungen und Überlieferungen. Dies hat er sodann aufgeschrieben.«
    »Ich wollt, ich sähe all dies mit eigenen Augen.«
    Cornelius lächelte ihn von der Seite an. »Da müsst Ihr in die Welt ziehen, Freund.«
    Gwyn nickte nur und schloss die Augen. Und er hörte die Vögel rufen und den Wind über die Felder streichen, die voll sattem Gras standen. Und er sah sich auf großen Schiffen übers Meer fahren, die Segel so groß wie ein Marktplatz, gebläht von der Kraft des Windes, sah die Küste um Barcelona, die Mauern von Toledo und Valencia, die Sieben Hügel von Rom und die Pfalzen am Rhein, sah die weiten Sümpfe am Lauf der Rhone, die Küste von Aremorica, und sah seine Ankunft im Hafen von Alexandria, wo das Wasser so grün schimmert wie aus reiner Jade, und darin die Fische und die Wesen der See und darüber alle Tiere in der Luft und in der Erde.
    Nach der Rast brachen sie wieder auf. Auf der anderen Seite des Hügels folgten sie jetzt einer schmalen Landstraße. An vielen Stellen waren noch Reste eines Straßenpflasters zu erkennen. Die römischen Besatzer hatten einst ganz Britannien mit einem solchen Wegenetz überzogen. Auf diesen Straßen war es rasch und bequem voranzukommen. Aber der Zustand war

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