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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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Schmerz ließ ihn beide Hände zu Fäusten ballen und an die Schläfen pressen. Die ungeheuren Worte seiner Frau konnte und wollte er nicht glauben. Und doch hatte sie es ihm gesagt! Was sollte sie für einen Anlass verspüren, ihm so eine Ungeheuerlichkeit zu gestehen?
    »Du belügst mich, Agnes, du lügst!« Er sagte es ohne Ton und bemühte sich dabei, nicht zu schreien. Und doch war es ihm danach.
    Er zitterte ein wenig, als er den Kopf hob und seine Frau vor sich betrachtete. Sie war still geblieben, und um ihren Mund glaubte er diesen winzigen Zug jenes schalkhaften Lächelns zu erkennen, dessentwillen er allein diese Frau liebte. Mehr denn je wurde ihm bewusst, wie sehr er Agnes liebte. Denn sie war mehr als seine Frau. Sie war sein Gift, und er war von diesem Gift abhängig wie ein Kranker. Doch das machte ihm nichts aus.
    Gwyn liebte Agnes, und er weigerte sich noch immer, das zu glauben, was sie ihm gesagt hatte.
    »Du … warum tust du dies?«, fragte er, und es klang erschöpft.
    Sie antwortete ihm nicht gleich, sondern schritt an den gegenüberliegenden Tisch. In einer ledernen Hülle kramte sie in einem Haufen Zeichnungen herum, so als suche sie etwas. Sie wandte sich um und hielt Gwyn eine Zeichnung hin.
    »Dieser Vogel beschäftigte den Meister sehr. Als Master Hornby das kostbare Stück brachte, war er sich sicher, dass es in diesem Hause jemanden gab, der es reparieren konnte. Aber ihr beide, ihr wart wie gebannt von diesem Kleinod, und jedermann sprach davon.«
    Gwyn erinnerte sich an jenen wundersamen Vogel, so groß wie eine Männerhand, ganz aus goldenem Blech, der schnarrte und dabei die Flügel bewegte, flatternd, als wolle er gleich losfliegen, und den Schnabel konnte er dazu bewegen, wie eine Lerche, die singen wollte, was dieser Automat aus Blech aber nicht konnte. Master Hornby, ein reicher Tuchhändler aus Bath, hatte diesen Vogel von einem genuesischen Händler erstanden, der glaubhaft versicherte, jenes Kleinod einem maurischen Faber in Almeria abgekauft zu haben.
    Als dieser sonderbare Vogel in die Werkstatt gebracht wurde, war es Borden selbst gewesen, der Gwyn aufforderte, Mechanismus und Feder zu erneuern und den Vogel, der zuvor auf den Boden gefallen war, wieder zu reparieren. Die kleine Feder aus einem harten und schwer zu biegenden Stahl war das Herzstück jener wunderbaren, kleinen Nachbildung gewesen, die ihn so fasziniert hatte und nicht mehr losließ. Fast eine Stunde studierte Gwyn Aufbau und Mechanismus des kleinen Kunstwerks, bis er gedanklich alle Abläufe nachvollziehen und erklären konnte. Die Feder war beim Aufprall aus der Halbierung innerhalb des Gehäuses gesprungen. Das Werk wie auch die Nachbildung des Vogels waren aber unbeschädigt geblieben. Nachdem er die Feder gereinigt hatte, spannte er den kleinen mechanischen Antrieb. Dazu drehte er die dünne Feder langsam und gleichmäßig wie die Zeichnung eines Schneckenhauses. Dass die Kraft, die in dieser Feder schlummerte, nicht wieder mit einer einzigen Bewegung davonschnellte und dann nutzlos war, ahnte er, als er das Gehäuse des blechernen Vogels behutsam öffnete. Der unbekannte Künstler hatte es der eingedrehten Feder mittels eines kleinen Bolzens nicht gestattet, sich mit einem Satz zu öffnen. So wickelte Gwyn einen dünnen Lederriemen um die Federung. Just hielt die Kraft inne.
    Erst nachdem er die metallene Spule wieder eingesetzt hatte, schnitt er mit einem dünnen Messerchen das Leder durch. Nun lag die Feder straff gespannt in der winzigen Halterung des Werkes, scheinbar darauf wartend, die ungebärdige Kraft in ihrem Inneren freizulassen.
    »Ich verstehe dich nicht. Was hat dies …?«, fragte Gwyn verständnislos.
    Agnes antwortete ihm schnell. »Ich wollte dich haben, Gwyn. Du warst alles, was ich mir auf einmal erträumt. Und immer war da das Wort meines Meisters. Gwyn, der Begnadete. Gwyn, der heimliche Meister. Ich habe Randolph nie geliebt. Er begehrte mich, und ich fügte mich, als er mich bat, seine Frau zu werden. Ich war ein blutjunges Ding, und Randolph war ein guter Faber und ein noch besserer Kaufmann. Sollte ich da ablehnen? Wir waren 15 Jahre verehelicht. Und bereits damals, in jüngeren Jahren, war er ein großer Meister.«
    »Sei still«, antwortete Gwyn heftig. »Der Meister war immer ein Großer. Er war seines Standes würdig.«
    »Aber ich habe ihn nicht gewollt, und mein Herz tat dies auch nicht. Dies tat ich erst bei dir. Da war etwas, was mir mehr war als nur Gier nach

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