Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo
will achtsam gesetzt sein, damit man nicht stürzt. Dann öffnet sich der dichte Blättervorhang und gibt einen lichten Platz im Schatten mehrerer Bäume frei. Robert kauert sich zusammen. Vor sich sieht er mehrere Gorillas. Es sind einige Mütter dabei, die ihre Jungen im Arm tragen. Dort hinten balgen sich zwei Halbwüchsige. Hier schält ein Weibchen geschäftig die Rinde von Zweigen, die sie von einem Busch abbricht. Robert sitzt und beobachtet.
Er sieht die Gorillas miteinander spielen, sieht schwarze Leiber, die sich umeinanderwickeln, und wie aus dem vermeintlich kompakten Fellknäuel wieder einzelne Affen purzeln. Er sieht, wie die Mütter ihren Nachwuchs stillen oder darauf achten, dass die Jungtiere keine allzu waghalsigen Kletterpartien im Geäst beginnen. Augustin zeigt immer wieder auf einzelne Gorillas und nennt ihre Namen, aber Robert hat keinen Sinn dafür. Zu sehr gefällt ihm, wie sich die Tiere umeinander sorgen, ihre Aufmerksamkeit scheinbar ganz ihren Angehörigen gilt. Selbst wenn sie fressen, beobachten sie meist, was andere Gorillas in ihrer Nähe tun. Ein unsichtbares Netz aus Blicken und ab und zu einem Grunzen, Husten oder bellenden Geräusch verbindet die Gruppenmitglieder.
Die Wissenschaft streitet über den Grund, weshalb sich Gorillas zu großen Verbänden zusammenfinden. Die Affen können das grundsätzlich nur deshalb tun, weil es in den Regenwäldern, die sie besiedeln, immer ausreichend Futter für alle gibt. So müssen sie sich an den Hängen der Vulkane jedenfalls keine Sorgen machen, ein nur wenige Meter entfernter Gorilla könnte ihnen eine überlebenswichtige Nahrungs grundlage wegfressen. Das ausreichende Nahrungsangebot ist die entscheidende Voraussetzung für ihre Geselligkeit. Dennoch hat bislang niemand genau herausgefunden, wie und weshalb sich diese Sippen zusammenrotten. Hält nun der Silberrücken den Verband zusammen oder ist dies lediglich ein Entschluss der Weibchen? Folgt der Harem einem Patron, weil er die Nachkommen vor anderen Silberrücken und damit dem Kindsmord schützt, oder weil das Familienoberhaupt Leoparden vertreibt, den einzigen tierischen Feind, den ein Gorilla in der Wildnis fürchten muss? Ganz gleich, was nun der eigentliche Zweck für die Gruppenbildung der schwarzen Riesen sein mag, fest steht: Sich inmitten einer sol chen Ansammlung aufzuhalten, ist ein grandioses Erlebnis.
Robert hört, wie die Affen schmatzend Blätter kauen. Er sieht ihre straff geblähten Leiber, die von der Schwerstarbeit zeugen, die ihnen die vegetarische Kost abverlangt. Er hört und riecht die unentwegten Blähungen, die eine Gorilla gruppe begleiten. Auffällig sind auch die Fliegenschwärme, die um die Urwaldbewohner kreisen. Der Dunst, der die Gorillasippe umweht, hat sie herbeigelockt. Die Unmengen an Kot, die Gorillas ausscheiden, sind eine unwiderstehliche Versuchung für die Plagegeister.
Plötzlich stapft ein Jungtier mit leicht ungeschickten Bewegungen auf Robert zu. Seine Kopfhaare stehen lustig in alle Richtungen ab. Gespannt und neugierig betrachtet es den Fremdling, der da aus dem Wald aufgetaucht ist. Den will sich der Junggorilla doch einmal näher ansehen. Immer weiter kommt er auf Robert zu. Jetzt trennen sie nur noch wenige Schritte. Den Oberkörper auf seine Arme gestützt blickt ihn der Gorilla scheinbar naseweis an. Der Kopf des Affen schwankt leicht hin und her. Der Kleine mag noch kein Jahr alt sein. Noch haben seine Muskeln nicht die perfekte Koordination erlernt und neigen zu dauernder Korrektur einer einmal eingenommenen Stellung.
Robert schaut in die Augen des Gorillas. Fast glaubt er, dieser habe ihm zugezwinkert. Für mehrere Sekunden begegnen sich die Blicke von Mensch und Tier. Robert ist tief berührt. Darauf war er nicht vorbereitet. Er hatte sich gefragt, wie es sein würde, zum ersten Mal Berggorillas zu sehen. Er hatte sich ausgemalt, wie faszinierend es sein müsste, packend, aufregend. Aber diesen Moment hatte er nicht vorausahnen können.
Er sieht in die Augen des kleinen Gorillas und ist wie vom Donner gerührt. Anders als der Blick eines Hundes, einer Antilope, eines Vogels, anders als der Blick jedes anderen Tieres, dem er bisher in die Augen gesehen hat, geht ihm dieser hier durch Mark und Bein. Robert erkennt, dass da nicht irgendetwas zurücksieht, wie er es bisher bei anderen Tieren immer empfunden hatte. Da ist mehr. Da schaut ihn ein Jemand an. Das ist eine Persönlichkeit, die ihn mustert, taxiert, genau wissend: Du
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