Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo
die weite Ebene, die sich zu Füßen des Vulkans erstreckt. Man sieht Felder, Häuser und Hütten. Er denkt an die Grausamkeiten, die sich Menschen seit Jahrhunderten im Kongo gegenseitig antun. Nachrichten von Massakern, Vergewaltigungen und vom Flüchtlingselend der jüngsten Zeit gehen ihm durch den Kopf. Er fährt sich mit der Hand durch den Bart und wischt den Gedanken beiseite, der ihm gerade kommt. Nein, Menschen sind nicht wie Schimpansen – und Gorillas sind nicht so, wie Menschen eigentlich sein sollten.
Weiter oben lichtet sich das Dickicht zusehends, und die Männer stoßen auf die ersten erkalteten Lavaströme. Die Schuhe knirschen auf dem porösen, scharfkantigen Geröll, das Wind und Wetter aus den Gesteinszungen herausgelöst haben. An manchen Stellen werfen sich Falten wie in einem Teig übereinander. Aus einer tiefen Spalte wabert Qualm, der nach Schwefel riecht. Die Virunga-Vulkane liegen an einer geologisch sehr aktiven Stelle der Weltkugel, an der Afrika auseinanderbricht. Zwei Platten der Erdkruste driften auf den Magmamassen im Inneren der Erde in unterschied liche Richtungen. Dabei zerren unermessliche Kräfte an ihnen und verrichten im Laufe von Jahrtausenden Unvorstellbares. Die Haut des Globus reißt auf. Doch bevor dereinst der große Graben, der dadurch entsteht, brechen wird und sich Meeresfluten in ihn ergießen werden, entlädt sich der Druck in den Eingeweiden unseres Planeten über gewaltige Eruptionen der Feuerberge.
Im Jahr 2002 brach der Nyiragongo aus und schickte seine Lava Richtung Goma. Diese ist besonders dünn und fließt schneller als die anderer Vulkane. 500 000 Menschen flohen vor der Feuerwalze, die Teile der Stadt zerstörte. Fast 200 Menschen kostete der Ausbruch das Leben. Das meterdicke Gestein liegt noch immer da, wo es in den Straßen erkaltete. Geologen, von den UN beauftragt, kamen damals und in stallierten ein Warnsystem. Sie bauten an den Flanken des Vulkans sieben Messstationen auf. Mit einer Internetverbindung kann man nun vom Schreibtisch aus Druck und Temperatur im Kraterinneren ablesen.
An den wichtigen Kreuzungen in Goma stehen große Tafeln, die das System und seine Warnstufen erklären. Grün bedeutet: Alles läuft normal, keine Gefahr. Gelb: Der Vulkan ist aktiv, aber nicht gefährlich, das Leben kann weitergehen. Orange: Der Vulkan ist sehr aktiv, eine Eruption ist möglich. Man bereitet sich besser auf eine Evakuierung vor. Rot: Eine Eruption steht unmittelbar bevor. Über Radio werden aktuel le Anweisungen zur Evakuierung gegeben. Täglich verkünden die lokalen Stationen die aktuelle Warnstufe. Das Ritual verleitet dazu, sich an die stets dräuende Gefahr zu gewöhnen. Aber hier oben, auf dem Rücken des zu Stein gewordenen Lavastroms, wird die Bedrohung zur Gewissheit. Der Nyiragongo wird wieder ausbrechen. Lediglich die Frage, wann sich der Glutfluss erneut über die Hänge des Vulkans ergießen wird, quält die Menschen mit Ungewissheit. Wie eine große Narbe zeichnet sich die Spur der Hitze an der Bergflanke ab. Man sieht verkohlte Baumstämme und schwarzes Gestein. Doch selbst dort regt sich Leben, keimen in den Rissen des erstarrten Schmelzflusses erste Pionierpflanzen.
Der Trupp hat die halbe Höhe der üblichen Aufstiegsroute erreicht. Hier muss der Platz sein, an dem Rebellen gelagert haben. Sie haben Bäume gefällt und Feuer gelegt. Die schwarzen Stämme, die man sieht, sind nicht die Folge eines Vulkanausbruchs. Hier haben Menschen gewütet. Man findet noch einige ihrer Hinterlassenschaften, vornehmlich verrostete Konservendosen.
Als Robert mit seinen Männern die Erkundung nach einem geeigneten Standort für die Funkstation fortsetzen will, klingelt sein Handy. Dass es auf dem Vulkan noch eine Verbindung gibt, findet er erstaunlich. Es ist Paulin. Er meldet einen Überfall auf den Posten Kabaraza, etwa auf halbem Weg von Goma nach Rutshuru. Dabei wurden viele Schüsse abgefeuert. Die Zahl der Verletzten und Toten ist noch unklar. Robert verspricht, sofort zu kommen. Er informiert die Ranger über die neue Situation, und eilig steigt der Trupp wieder ab. Stunden später erreichen sie die Siedlung und sehen eine Menschenmenge, die sich auf einem kleinen Platz zwischen Hütten versammelt hat. Als der Geländewagen auf sie zurollt, richten sich versteinerte Blicke auf ihn.
Robert und seine Begleiter steigen aus. Die Menschen sind geschockt, das kann man sehen. Eine beklemmende Atmosphäre hat sich breitgemacht und schnürt den Hals
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