Der Gott von Tarot
geschafft. Auch nicht die Fünf-Minuten-Meile. Aber einmal habe ich an einem Gestell in der Kirche fünfzehn ehrenwerte Klimmzüge in dreißig Sekunden geschafft.“ Er lächelte verschmitzt. „Aber der Kaplan hat mich erwischt. Er hat keinen Ton gesagt, aber wie er mich angesehen hat! Niemals wieder hätte ich mich das noch einmal getraut. Aber ich bin sicher, du hättest eine so billige Entschuldigung bei deinen Übungen niemals gelten lassen.“
Offensichtlich wußte der Mann etwas über Bruder Pauls Vergangenheit – insbesondere über seine gymnastischen Übungen, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Paul hoffte nur, er würde nicht erröten.
„Die Mission, die dir nun bevorsteht, verlangt allerdings wesentlich stärkere Nerven als das“, fuhr Bischof Crowder fort. „Du hast Nervenstärke, Geistesgegenwart, große Körperkraft und einen gewissen erfrischenden Objektivismus. Das sind genau die Charakteristika, nach denen wir gesucht haben. Doch es wird nicht leicht werden. Du wirst nicht allein Gott gegenübertreten – du mußt auch ein Urteil über seinen Wert ertragen können. Ich beneide dich nicht um diesen Auftrag.“ Er drehte sich um und legte seine kräftigen, wettergegerbten Hände auf Bruder Pauls Schultern. „Gott segne dich und möge dir Kraft verleihen“, sagte er aufrichtig.
Gott segne dich … Bruder Paul schwankte und schloß unter einem plötzlichen Schmerz die Augen.
„Gemach, Bruder“, sagte der Bischof und stützte ihn. „Ich weiß, du bist nach der anstrengenden Reise müde. Geh und ruhe dich aus. Morgen früh werden wir dich zum Bus in die Materieübertragungsstation bringen.“
Der Bischof war natürlich so gut wie seine Worte. Nachdem sich Bruder Paul ausgeruht und gut gespeist hatte, brachte man ihn in den Bus, der ihn in vier Stunden ins Kernland der Zivilisation brachte. So gelangte er recht unvermittelt zur MÜ-Station: ins Amerika des einundzwanzigsten Jahrhunderts.
Als er aus dem Bus sprang, kam ein Repräsentant des MÜ mit offizieller, prunkender blauer Uniform auf ihn zu. „Sehr gut“, sagte der junge Mann schneidig und beäugte mißbilligend Bruder Pauls Ordenshabit, der unter der Reise arg gelitten hatte. „Sie sind der Repräsentant des Visualordens …“
„Des Heiligen Ordens der Vision“, korrigierte ihn Bruder Paul geduldig. Einem Druiden wäre ein solcher Irrtum niemals unterlaufen, aber dies hier war ja auch nur ein Laienbeamter. „Heilig, denn wir versuchen, den gesamten Geist des …“
„Ja, Sir. Bitte folgen Sie mir hier entlang.“
„Nicht ‚Sir’. Ich bin ein Mönch. Bruder Paul. Alle Menschen sind Brüder …“ Aber der eindrucksvolle Funktionär war schon gegangen und zwang somit Bruder Paul, hinter ihm herzueilen.
Das tat er auch. „Ehe ich auf die Koloniewelt reise, werde ich eine direkte Energiequelle benötigen, um meinen Rechner aufzuladen“, sagte er. „Ich bin kein guter Mathematiker, und es gibt dort vielleicht Komplexitäten, die …“
„Dafür ist keine Zeit mehr“, schnappte der Mann. „Man hat den Abflug schon um Stunden hinausgezögert, weil wir auf Ihre Ankunft gewartet haben, und es hat unser Programm vollständig durcheinandergebracht. Nun ist alles schon seit mehr als dreißig Minuten versiegelt. Wir können kaum …“
Daran hätte er denken sollen: Zeit in Form von Plänen war einer der Hauptgötter der MÜ, gleich auf die Macht folgend. Bruder Paul war daran gewöhnt, sich einem an der Sonne ausgerichteten Tagesablauf unterzuordnen. Man hatte ihm zusammen mit dem Rechner eine gute Uhr geliehen, aber er hatte sich noch nicht angewöhnt, auch darauf zu schauen. „Ich will sicherlich Ihren Zeitplan nicht
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