Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Magicae im Lager Metcairn Nifes mit der Sache zu tun haben.«
»Ich werde das überprüfen lassen, Nodsumde.«
Er dachte nach. Es gab Dinge, die selbst ihm unklar waren. Trotz seiner stark ausgeprägten Gabe, Zusammenhänge frühzeitig zu erkennen, hingen manche Stränge seiner weitreichenden Überlegungen lose. Sie verloren sich in einer Zukunft, die ihm unklar blieb, und das bereitete ihm gehöriges Unbehagen.
»Sie sind der Verursacher allen Übels«, sagte er.
»Ja, das bin ich, Nodsumde.« Der Körper der Sibylle leuchtete mit einem Mal in einem kräftigen Gelb. Gesichtskonturen, die bislang vage erschienen waren, gewannen deutlich an Substanz.
Sie zeigte unerklärliche Scheu, sich über dieses Thema zu unterhalten. Dabei kannten Sibyllen unter normalen Umständen keinerlei Tabus. Doch was ist bei dieser einen Sibylle schon normal?
»Wie konnte es damals so weit kommen?«
»Ich weiß es mir selbst nach wie vor nicht zu erklären, Nodsumde.« Nachdenklich wippte sie mit dem Körper vor und zurück. »Ich befand mich in meiner Ovarium-Phase. Ich beschäftigte mich über lange Zeit hinweg besonders intensiv damit, dass meine Artgenossen und ich keinen Nachwuchs zeugen können. Und dann tauchte dieses Wesen auf, dieser menschliche Barbar. Er faszinierte mich. Er wirkte auf mich wie ein Rettungsanker in stürmischer See. Ich suchte und fand für eine Weile Halt bei ihm. Es war unverzeihlich, und es widert mich an, auch nur über Herrn Rudynar Pole nachzudenken.« Sie machte eine kurze Pause, bevor sie kalt hinzufügte: »Ich kann das, was passiert ist, nicht ungeschehen machen. Doch ich kann die Folgen meines Tuns ausmerzen.«
»Natürlich können Sie das.« Nodsumde dachte nach. »Warum haben Ihre Artgenossen sie angesichts Ihrer Verfehlungen nicht getötet?«
»Weil ich mir den Tod wünschte. Sie ließen mich zur Strafe weiterleben.«
»Bereuen Sie, noch hier zu sein?«
»Ja. Ich wünsche mir den ewigen Schlaf so sehr …«
»Sobald wir den Stummen Jungen in Gewahrsam haben, werde ich ein gutes Wort für Sie einlegen. Sie sollen nicht bis in alle Ewigkeit für einen einzigen Fehler leiden.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Güte.«
Die Sibylle wirkte in Eile. Sie wollte weg und sich um ihre Aufgaben kümmern. Sie hatte zudem Sehnsucht nach der Gesellschaft ihrer Brüderschwestern. Also beeilte er sich und gab ihr neue Aufträge mit auf den Weg. Sie würde sie zweifellos mit aller Gewissenhaftigkeit erledigen. »Sie müssen mir noch eine Frage beantworten.«
»Ja, Nodsumde?«
»Werden Sie den Stummen Jungen für mich töten?«
»Selbstverständlich.«
»Er ist Ihr Sohn.«
»Er ist ein Wesen, das keinerlei Daseinsberechtigung hat. Ich hätte dieses Geschöpf niemals in die Welt setzen dürfen.«
»Sie sollten nicht zögern. Der Stumme Junge ist eine Gefahr für Sie alle und für mich. Sobald er Ihnen in die Hände fällt, muss er sterben.«
»Natürlich, Nodsumde.«
Die Sibylle sagte noch einige rituelle Worte, bevor sie sich verabschiedete und das Haus verließ. Ihr Abgang ähnelte einer Flucht, und er ahnte, dass diesem Geschöpf keinesfalls zu trauen war.
Der Stumme Junge war der erste Nachkomme der Sibyllen seit mehreren hundert Jahren, und er war das unwahrscheinliche Resultat eines Amalgams, das niemals hätte entstehen dürfen. Er war in der Lage, sie allesamt zu vernichten, aber er stand auch für die Hoffnung dieses seltsamen Volks, eines Tages doch wieder Kinder zu gebären. Richtige Kinder, von den Brüderschwestern untereinander gezeugt.
Nodsumde verließ das zerstörte Haus in Moina. Er empfand das hier herrschende Leid wie ein Wispern, das leiser wurde. In der neu entstehenden Stadt weiter ostwärts setzte sich allmählich die Meinung durch, dass der Gottbettler das weitaus geringere Übel war als jene Halunken, die jahrhundertelang die Stadt regiert und den Großteil der Bevölkerung am Rande der Armut gehalten hatten. Jene, die geblieben waren, und jene, die zurückkehrten, trugen Hoffnung im Herzen. Sie mussten bloß das tun, was die Stellvertreter des Gottbettlers ihnen auftrugen, und das war reichlich wenig im Vergleich zu den früheren Auflagen.
Nodsumde kehrte in seinen Körper zurück. Die roten Wolken rings um ihn lösten sich auf. Der Tölpel erhob sich eben von seinem Stuhl, warf achtlos einige Münzen auf den Tisch und verließ die Gaststube.
Nodsumde wartete eine Weile, bevor auch er das Wirtshaus verließ. Der Tölpel war nirgends mehr zu sehen. Womöglich hatte die
Weitere Kostenlose Bücher