Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Verteidiger dem Heer des Gottbettlers entgegenzusetzen hatten, sah es schlecht um die Stadt aus.
»Und nun?«, fragte Pirmen. Herr Rudynar Pole trug ihn noch immer auf seinen Schultern, doch niemand achtete auf ihn. Niemand wollte ihn bemerken. Darin lag die Besonderheit dieser ganz besonderen Magie, die Hexe und Magicus gemeinsam gewoben hatten.
»Ich fordere einen Gefallen ein«, beschied ihm Terca knapp. Sie orientierte sich rasch in diesem Gewimmel an Menschen, Hoboken und Mitgliedern des Kleinen Volks, das auf dem Festlandmarkt herrschte, unmittelbar hinter jener bewehrten Enge, durch die sie Xyrecus betreten hatten. Sie stellte Passanten einige Fragen und folgte dann einem der vielen Wege hin zum Vierten Ponton, jenem Schwimmkörper, der am weitesten in die Cabrische See ragte.
Der Boden unter ihren Füßen schwankte heftig. Unter den vertrauten und über die Jahrhunderte immer wieder ausgebesserten schwimmenden Holzinseln tobte das Meer, wütend darüber, dass ihm hier ein von Menschenhand gefertigtes Werk widerstand. Gischt spritzte aus Lücken zwischen einzelnen morsch gewordenen Planken empor, fontänenartig, die Leute ringsum mit Salzwasser bedeckend. Doch die Bewohner der Pontonstadt hatten sich längst an die Lebensumstände gewöhnt. Sie standen am Morgen mit von Salzkrusten bedeckten Körpern auf, kratzten sich das Zeugs noch vor dem Frühstück von der Haut, erledigten ihr Tagwerk und gingen des Nachts ins Bett, wiederum von einer Schicht aus weißen Kristallen bedeckt.
Ein Alarmsignal ertönte, das Tuten eines Nasenhorns, das einstmals einem der vielen Meeresungeheuer gehört hatte. Irgendwo am Stadtrand war ein Teil des Pontons weggebrochen und womöglich die eine oder andere Behausung ins Wasser gerutscht. Rings um diese künstliche Insel, die mehrere hundert Meter in den Ozean ragte, scharten sich Raubfische, die sich über alles hermachten, was ins Meer gerutscht kam und nach Nahrung roch. Abfälle, Lebendes und Totes, Tier oder Mensch. Die Zimmerleute von Xyrecus, denen ein hervorragender Ruf anhaftete, würden die Schäden in Stundenfrist beheben und, als wollten sie den Bewohnern der Cabrischen See eins auswischen, wieder ein Stückchen weiter ins Meer hinausbauen.
»Das sind sonderbare Leute«, sagte Rudynar Pole, der sich lange nicht mehr zu Wort gemeldet hatte.
»Sie sind ein störrisches Volk.« Terca suchte nach den Schnitzzeichen der Raute in den Wegpfeilern und folgte ihnen dann. »Der Untergang von Xyrecus wurde bereits vor mehr als drei Jahrhunderten vorhergesagt. Wie um es den Sehern zu beweisen, bauen sie seitdem immer weiter in die See hinaus, mit noch mehr Energie und noch mehr Wagemut. Sie spotten den Göttern – und sie tun es mit Erfolg.«
»Weil sie von Magicae unterstützt werden«, schoss Pirmen die erwartete Spitze in Richtung Terca ab, »während die Prophezeiungen von Hexen getätigt wurden.«
Sie würdigte ihn keiner Antwort und ging schweigend neben Rudynar Pole und Pirmen her. Vorbei an Fischbuden, gewaltigen Netzen, die auf noch gewaltigeren Stangen hingen, an Ständen von Wasserhändlern, miefigen Bordellen. Abgehärmte Gestalten balancierten Kloakeneimer links und rechts ihrer Tragestangen, jedermann wich ihnen weiträumig aus. Ein Leichnam, leidlich gut in Tücher gewickelt, wurde auf einem Karren beiseitegeschafft. Ein Fischermesser stak im Brustkorb des Mannes. Kläffende Hunde stritten um ein Stück traniges Fleisch, drei alte Weiber um etwas, das vielleicht einmal ein Tuch gewesen war und womöglich dem Toten gehört hatte. Wächter sicherten den Weg für einen in Weiß gekleideten Händler, dem wiederum sehnige, dunkelhäutige Männer in Ketten folgten. Ein Hoboke reckte seinen mächtigen Körper weit nach oben, um von einer Pökelstange Fisch zu angeln. Die Stadt war lebendig wie ehedem.
»Wie weit ist es noch?«, fragte Pirmen.
»Dort vorn.« Terca deutete in Richtung einiger Behausungen aus Holz, die stabiler als alles andere wirkten, was sie bislang in Xyrecus zu sehen bekommen hatten.
»Er ist reich, dein Freund?«
»Er ist ein größerer und besserer Betrüger als die meisten Leute hier.«
»Womit verdient er sein Geld?«
»Mit Handel aller Art. Und mit dem Transport von Dingen.«
»Von Dingen? «
»Ja.« Terca ging nicht näher darauf ein. Es gab keine geeigneten Worte, um Balthazars Tätigkeiten zu beschreiben.
Eine Art Grenzpfosten markierte den Übergang zum Vierten Ponton, zu einem der zentralen und ältesten Bezirke der
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