Der Gottbettler: Roman (German Edition)
entscheiden, wofür er sie einsetzen würde. Zwei Wege lagen klar und deutlich vor ihm. Der eine führte über den schmalen Pfad der Rechtschaffenheit an ein unbestimmtes Ziel. Unzählige Gefahren lauerten. Wählte er hingegen die andere Richtung, erwartete ihn eine leichte Reise, auf ein genau bestimmtes und hell leuchtendes Ziel zu.
»Ich könnte Gnade walten lassen«, sagte er nachdenklich zu Larex. »Dann müsste ich allerdings in Kauf nehmen, dass du dich eines Tages an mir rächen willst.«
»Niemals! Ich schwöre es, hier und jetzt!« Der Alte rutschte winselnd über den Boden. Mit beiden Händen betastete er seine Brust, als könnte er den Schmerz aus sich herausziehen.
»Versprechungen sind leicht gegeben, wenn man dem Tod ins Auge sieht.«
Larex raffte sich noch einmal auf. »Sieh dich doch an!«, krächzte er. »Ich habe dich geformt! Ich habe dir all das gegeben, was du heute darstellst. Ich …«
»Du weißt, dass es die Pflicht eines Lehrlings ist, den Meister zu töten, sobald er sich bereit dazu fühlt.«
»Aber doch bloß in den alten Geschichten! In den Märchen, die unsere Bücher füllen und mit denen wir unseren Adepten Respekt einflößen wollen. Bitte …!«
Doch Pirmen zeigte keine Gnade. Er drückte fester und fester zu und nahm zugleich in sich auf, was Larex an Wissen bislang verheimlicht hatte. Oh, es war so einfach, es zu tun. Dieser Weg, den er nahm, war leicht. Er führte bergab. Er führte durch ein sonniges Tal, und er brachte keinerlei Beschwerden mit sich.
Tu es!, rief irgendwer weit weg. Tu es! Töte ihn! Presse und lutsche ihn aus. Mach dir zu eigen, was dir schon seit Langem zusteht! Mach es! Jetzt!
Die letzten Zweifel vergingen. Er hätte Larex verschonen und ihm Gnade gewähren können. Doch diese Möglichkeit erschien ihm völlig unsinnig, und die Stimme, die ihn zu dieser Wahl drängen wollte, war so dünn, dass Pirmen sie kaum vernahm.
»Das war es, alter Mann«, sagte er und tat, was getan werden musste.
Der Nebel löste sich auf, als würde er vom Gestein aufgesogen. Aller Lärm verstummte. Selbst das Kriegsgeschrei der Zwerge wurde zu einem unbedeutenden Murmeln. Die Kleinen standen stumm da, wie winzige Statuen, während Rudynar Pole um Fassung rang.
Der Turm war mit einem Mal kein Ort des Schreckens mehr, sondern ein Gebäude wie jedes andere, das er im Laufe seines Lebens von innen gesehen hatte. All das miefige Zeugs ringsum flößte ihm weder Angst ein, noch nötigte es ihm Respekt ab. Es war tot und bedeutungslos. So tot und bedeutungslos wie Pae Loriander vor ihm.
»Ich möchte weg von hier«, sagte er zu Terca, »und ein paar Krüge vom Sauren trinken. So viel, dass ich alles vergesse, was hier vorgefallen ist.«
»Du warst schon immer gut im Davonlaufen.«
»Woher möchtest du das bitteschön wissen?«
»Du vergisst, wer ich bin.« Terca wirkte mit einem Mal gewachsen und kräftiger, womöglich auch um drei oder vier Jahrzehnte jünger.
Dann wäre sie immer noch um die sechzig Jahre alt, dachte Rudynar Pole.
»Wie geht es deinen Verletzungen?«
Er blickte an sich hinab. Sein Körper war voll Blut. Fast schwarzer Schorf bedeckte vor allem den Brustbereich. Doch als er seinen Körper abtastete, war keine Verletzung mehr zu spüren.
»Das verdanke ich wohl dir«, sagte er.
»Ob du mir dankbar sein solltest, weiß ich nicht. Fest steht, dass du mir einen Gefallen schuldest. Einen großen sogar.«
»Ich habe nicht darum gebeten, gerettet zu werden.«
»Du hast es nicht gesagt, aber du wolltest es. Und das ist für mich entscheidend. Du wirst dich nicht aus deinen Verpflichtungen mir gegenüber herausreden können.«
»Wie sehen diese Verpflichtungen aus?«
»Darüber reden wir ein andermal«, wich Terca aus. »Nun sollten wir zusehen, dass wir von hier verschwinden und …«
»Was ist mit Larex?«, unterbrach er sie.
»Er stellt keine Gefahr mehr dar. Ich spüre, dass sich Pirmen um ihn gekümmert hat.«
»Sind weitere Soldaten von Metcairn Nife auf dem Weg hierher?«
»Es sind unsere Verbündeten, um die ich mir Sorgen mache«, flüsterte ihm die alte Hexe so leise zu, dass er die Worte kaum verstand. »Noch sind sie gebannt von all dem, was rings um sie zu finden ist. Larex’ Mittelchen und Bücher und magische Gegenstände faszinieren sie. Aber ich befürchte, dass sie bald aus ihrer Starre erwachen, und dann möchte ich mich nicht mehr hier befinden.«
»Na dann, gehen wir.«
»Nicht ohne den Stummen Jungen.«
Ihr Blick ließ
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