Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Dunkelheit, die bis ins Reich der Tiefen-Dämonen zu ragen schien.
Terca kümmerte sich nicht weiter um den Stürzenden. Sie griff Hand über Hand, trotz aller Schmerzen, und zog sich in die Höhe. Ein Söldner wollte ihr aufs Seil folgen, doch sie trat ihm ins Gesicht. Immer rascher kletterte sie, wie ein Wiesel, der Verankerung entgegen, die aus einem breiten, rostig gewordenen Ring bestand. Kaum oben angekommen, hängte sie sich mit einem Bein ein und durchtrennte das Seil unter sich, indem sie das Beuteschwert aus ihrem Gürtel zog und damit zuschlug. Zwei weitere Söldner stürzten aufs Haus hinab, gut zehn Meter tief. Einer blieb liegen, eine Blutlache breitete sich rasch um seinen Kopf herum aus, der andere richtete sich benommen auf. Das Haus schwankte bedenklich, ein weiteres Verankerungsseil riss. Die wagemutige Konstruktion war auf Belastungen dieser Art nicht ausgerichtet.
Terca hielt sich am Ring fest und sah sich um. Sie war während der letzten Jahre zur geschickten Kletterin geworden. Trotz des böigen Windes, trotz des leicht überhängenden und rutschig-nassen Felsens erreichte sie ihr Ziel binnen wenigen Augenblicken, stemmte sich mit einem letzten Armzug hoch und kam auf nassem Gras zu liegen. Sie schnappte nach Luft, keuchte, war einem Kollaps nahe.
Es dauerte Minuten, bis sie wieder zitternd auf die Beine kam und davonstolperte. Ihrer Orientierung nach befand sie sich nahe der nordwestlichen Ausläufer der Stadt. Links und rechts zerfurchten Spalten und Risse das Land. Sie wirkten, als hätte in den alten Tagen ein Riese im Meer gestanden, umspült vom Wasser, und voll Zorn mit seiner Axt auf die Felsen eingeschlagen.
Und so war es auch, wenn man den Geschichten unserer Vorfahren Glauben schenkt …
Es war nicht leicht, sich in diesem zerklüfteten Land zurechtzufinden. Es bestand jederzeit die Gefahr, durch eine der tückischen Grasnaben zu brechen und in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen. Oder aber einem der Wölfe zum Opfer zu fallen, die in den Wäldern hinter den Klippen ihr Jagdgebiet gefunden hatten. Oder auf Ausgestoßene zu treffen, die der Stadt verwiesen worden waren und nun ein Dasein als Wegelagerer fristeten.
Terca eilte sich, so gut es ging. All diese Gefahren schreckten sie weniger als die Aussicht, in die Fänge der Hohen Herren zu geraten, deren Handel mit dem Unterhändler des Gottbettlers sie vereitelt hatte.
»Was hast du getan?«, keuchte sie und wischte sich Tränen aus den Augenwinkeln. »Du hast den Verstand verloren, Terca!«
Sie hatte eine folgenschwere Entscheidung getroffen, die eine ganze Region in den Krieg und in den Untergang zu reißen drohte. Metcairn Nife kannte kein Erbarmen. Er würde Poitrea belagern lassen, von der Land- und vielleicht auch von der Seeseite her, und dann würde er die Stadt dem Erdboden gleichmachen.
Sie war vogelfrei und auf der Flucht. Sie durfte auf keinerlei Unterstützung hoffen. Die Hohen Herren würden sie als Schuldige brandmarken – und selbst so rasch es ging das Weite suchen, um Poitrea und die anderen Steilstädte ihrem Schicksal zu überlassen.
Ihre Dusus war endgültig erschöpft, und bald würden sich die Folgen ihres Tuns bemerkbar machen. Sie musste sich einen sicheren Platz suchen. In den nächsten Stunden würde sie für den Einsatz ihrer Hexenkraft den Preis bezahlen müssen. Schon jetzt tobte der Schmerz durch ihren Leib, bald würde er all ihre Glieder erfassen und ihren Geist auf eine Reise schicken, die sie gehofft hatte, niemals mehr antreten zu müssen.
8. Durch Feindesland
Kalt. Nass. Übel.
Drei Gedanken, endlos aneinandergereiht wie an einer Gebetskette, rissen ihn aus der Dunkelheit. Pirmen schlug die Augen auf und starrte auf Schnee. Und auf ein sich bewegendes Etwas, das seinem Gesicht verdammt nahe kam.
Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass er quer über Stellex’ Rücken gebunden war, sodass er mit dem Kopf nach unten hing, während sich auf der anderen Seite des Tiers seine Beine befanden. Er erinnerte sich: Er war umgekippt, völlig erschöpft von der Kälte, von der Schlaflosigkeit, den irrwitzigen Verhältnissen in einem irrwitzigen Land.
Immer wieder drohte ihm der rechte Hinterlauf der Stute einen Stupser gegen die Nase zu geben, immer wieder wurde er von Schneespritzern im Gesicht getroffen.
»Mbll!«, stieß Pirmen hervor und spuckte aus. In seinem Mund war ein Geschmack, der ihn an eine verwesende tote Ratte denken ließ. Jene Teile seines Körpers, die er spürte,
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