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Der Gottbettler: Roman (German Edition)

Der Gottbettler: Roman (German Edition)

Titel: Der Gottbettler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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war rings um Pirmen nur noch der pfeifende Wind zu hören und ab und zu ein knarrender Baum. Und ein Laut, an den er sich längst hätte gewöhnen müssen, der ihn aber dennoch immer wieder erschreckte: ein Krachen wie von einer Explosion in Meister Larex’ Laboratorium.
    Explodierender Fels. Gestein, von der ungeheuren Kälte der verfluchten Norde gesprengt. Der Ton hallte jedes Mal weit übers Land. Er konnte aus einem Gebirge stammen, das sich fünftausend Laufe oder mehr von hier entfernt hochfaltete – oder aber vom nächstgelegenen mannshohen Klotz, dessen Splitter dann wahllos herumfegten.
    Stunde um Stunde verging. Nichts änderte sich ringsum. Einmal ließ sich ein Wolf blicken, dann ein Rotwild, das mit weiten Sprüngen davonsetzte, sobald es die beiden Menschen bemerkte.
    Der Hohe Herr hinter Pirmen ermüdete nicht. Er hatte während der letzten Tage gehörig an Kraft zugelegt, trotz seiner Saufereien und trotz der kargen Mahlzeiten.
    Manchmal ließ er ein Stückchen mehr Abstand zwischen der Stute und ihm, dann wiederum kam er wieder nahe heran. Wie konnte ein minderwertiger Kerl und Säufer bloß dieses Tempo beibehalten?
    Unterschätz ihn bloß nicht!, mahnte sich Pirmen. Der Latrinenputzer ist Teil dieser Welt. Er versteht sie, während ich, ein kleiner Magicus in Ausbildung und ohne klangvollen Namen, in diesen lebensfeindlichen Gefilden stets ein Fremdkörper bleiben werde.
    Allmählich kehrte das Gefühl in seine Glieder zurück und damit auch das Interesse an seiner Umgebung. »Wohin reiten wir?«, fragte er.
    »Richtung Südosten«, antwortete der Latrinenputzer knapp. »Nach Colean.«
    »Colean? Die Grenzstadt? Sie ist von Truppen des Gottbettlers besetzt. Möchtest du mich etwa ausliefern?«
    »Keine schlechte Idee.« Der Mann grinste unter seinem wirren Bartwuchs hervor. »Du bist sicherlich einige Mau wert, und ich bin immer für ein gutes Geschäft zu haben.«
    »Du meintest, du warst immer für guten Fusel zu haben«, verbesserte Pirmen so leise, dass der andere ihn nicht verstehen konnte.
    »Ich könnte dich tatsächlich an die Schergen des Gottbettlers verkaufen«, redete der einfach weiter. »Doch jedermann weiß, dass diese Kerle knauserig sind und einem als Belohnung meist bloß eine Tracht Prügel verabreichen. – Komm jetzt runter da!«
    Pirmen gehorchte. Die Stimme des anderen klang befehlsgewohnt und wollte ganz und gar nicht zu dem Äußeren des ehemaligen Latrinenputzers passen, schon gar nicht zu jenem devoten Verhalten, das er im Störrischen Ochsen an den Tag gelegt hatte.
    Pirmen rutschte seitlich vom Sattel und glitt in den Schnee. Er fühlte Stiche in den Beinen. Dort, wo er Erfrierungen erlitten hatte. »Ich bin nichts wert. Ich habe keinen Titel, habe kein Geld. Meinem Herrn war ich ein miserabler Lehrling.«
    »Mach dich nicht schlechter, als du bist, kleiner Herr. Dein Magicus hat dich über Tausende von Laufen ins Unbekannte geschickt. Er war der Meinung, dass du der Richtige seiest, um eine bestimmte Person zu finden.«
    »Ich bin einer von vielen, die ausgesandt wurden.«
    Der Hohe Herr kniff die Augen zusammen und spielte mit den Fingern über den Griff seines Schwerts. »Möchtest du mich etwa davon überzeugen, dass ich dich umsonst mitschleppe? Dass es für mich keinen Grund gibt, dich weiterhin am Leben zu lassen? Wäre es dir lieber, ich würde dich an Ort und Stelle abmurksen?«
    »N… nein.«
    »Dann halt dein Maul! Erfreu dich deines Lebens, solange du es noch hast.« Er spuckte in den Schnee. »Komm jetzt! Die Stute hat dich lange genug getragen. Sie ist müde, und du siehst einigermaßen erholt aus.«
    Er nahm Pirmen neben sich und sorgte dafür, dass Stellex wieder antrabte. Im gemächlichen Tempo ging es hinter der Stute her, die ihnen eine Spur durch den knietiefen Schnee zog.
    »Wie heißt du eigentlich, Hoher Herr?«, fragte Pirmen.
    »Ich habe meinen Namen vergessen.«
    »Wie bitte?«
    »Er ist es nicht mehr wert, genannt zu werden.«
    »Und wie lautete er, als er noch einen Wert hatte?« Pirmen keuchte zwischen den Worten, obwohl er gerade einmal hundert Schritte zu Fuß zurückgelegt hatten.
    »Herr Rudynar Pole«, sagte der Latrinenputzer und beschleunigte seinen Schritt ein klein wenig.
    Tag für Tag wurde es ein klein wenig wärmer. Die endlosen Hügellandschaften der Norde machten einem Flachland Platz, in dem Dörfer wie kleine Beulen platziert waren. Die Schneeschicht wurde dünner, das Eis zu Matsch, der Matsch zu einem schwarzbraunen

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