Der Gottbettler: Roman (German Edition)
fühlten sich an, als wären sie durch einen Fleischwolf gedreht worden.
»Sieh an, der kleine Herr Magicus lebt also noch!«
Die Stute blieb stehen, tänzelte aber unruhig hin und her. Pirmen spürte den Druck des Sattels an seiner Hüfte. Seine Haut war aufgerieben und wund. Grobe Hände packten ihn. Dann wurde die Verschnürung um seine Handgelenke gelöst, die unter Stellex’ Bauch mit seinen Füßen verbunden war.
Pirmens Glieder waren steif gefroren. Er konnte nicht verhindern, dass er langsam nach vorn rutschte und in eine Schneewechte fiel, mit dem Kopf voran.
Er fiel weich, doch er war mit einem Mal vom weißen Nass umgeben, steckte vom Kopf bis zur Brust im Schnee, bekam keine Luft mehr. Panik befiel ihn, wider jede Vernunft.
Pirmen hörte dumpfe Laute. Gelächter. Der Hohe Herr machte sich einen Spaß aus seinem Unglück, aus seiner Unfähigkeit, sich zu bewegen.
Er krümmte die Finger unter Schmerzen. Versuchte sich hochzustemmen, dem Schnee Widerstand zu leisten. Doch er war zu schwach, zu erfroren, zu orientierungslos. Er schnappte nach Luft. Feuchtigkeit rann in seine Nase und in seinen Mund. Er würde … würde …
»… soll das, Kleiner?«
Er fühlte sich hochgezogen, die Welt stand plötzlich auf dem Kopf – beziehungsweise so, wie sie sein sollte. Da war die Stute, Stellex, nervös wiehernd, und der Hohe Herr, der ihn am Schlafittchen festhielt.
»Ich habe von Männern gehört, die sind im Suff in Bächen ertrunken, die keine Handbreit tief waren«, sagte der Hohe Herr. »Und von Helden, die beim Pissen im Stehen festgefroren sind.« Er grinste. »Aber kopfüber im Schnee zu ersticken – eine derartige Geschichte würden nicht einmal die Wanderbarden der Norde weitererzählen, weil sie fürchten müssten, für diese scheinbaren Lügen verdroschen zu werden.«
»K… k… kalt …!«
»Du brauchst ein wenig mehr Bewegung, Kleiner! Wie wär’s, du würdest laufen, während ich auf deiner Stute sitze und die Reste des Habaneas trinke?«
Pirmen schaffte es, die Arme um den Körper zu schlagen. Einmal, zweimal …
»Ach, was soll’s! Mir tut die Bewegung sicherlich auch ganz gut.« Der Hohe Herr hievte ihn aufs Pferd, zog eine steife Decke hinter den Satteltaschen hervor, legte sie ihm um den Körper, legte die Zügel um Pirmens steif gefrorene Finger.
Dann gab er Stellex einen Klatsch auf die Pobacke. Die Stute setzte sich augenblicklich in Bewegung und verfiel bald darauf in jenen Kräfte sparenden langsamen Trott, den Pirmen während der letzten Wochen an dem Tier so sehr bewundert hatte. Die Welt rings um ihn bestand nur aus Weiß, das kaum einmal von schwarzen Felsen, kleinen Tannenwäldchen oder zerklüfteten Hügeln durchbrochen wurde, die Gräber oder Kultstätten in diesem uralten Land darstellten. In der Norde, so sagte man, hausten allerorts Geister, und wenn man nicht aufpasste, wurde man allzu rasch selbst eine der vielen Mythen dieses Landes.
Pirmen hörte das Keuchen des Hohen Herrn. Er lief hinter Stellex her, womöglich in dem gleichen Kräfte sparenden Schritt wie das Tier. In dieser Einöde, so hatte man ihm einmal gesagt, unterschied man kaum zwischen vernunftbegabten und instinktbehafteten Lebewesen. In Zeiten wie diesen, da alles schlief und unter dem Weiß verborgen war, ähnelten sie einander sehr.
»Warum hast du mich am Leben gehalten? Ich möchte sterben! Ich halte diese Kälte nicht länger aus!«, wollte Pirmen sagen. Doch er brachte bloß ein kaum verständliches Krächzen zustande. Seine Lippen waren aufgerissen und fühlten sich blutig an, die Zunge war ein roher Klumpen Fleisch, ein Fremdkörper in seinem Mund.
»Weil wir zu zweit bessere Chancen zum Überleben haben«, antwortete der Hohe Herr zu seiner Überraschung. »Und vielleicht auch, weil ich ein guter Mensch bin.«
Du bist ein Säufer und ein verlauster Arsch, aber sicherlich kein guter Mensch!
»Wusstest du, dass ich Gedanken lesen kann, kleiner Herr?«
Pirmen zuckte zusammen und wäre beinahe vom Pferd gestürzt.
Der Latrinenputzer lachte, kam an seine Seite und rückte ihn gerade. »Du solltest nicht alles glauben, was man dir sagt. Aber in meinem Kopf ist ab und zu ein klein wenig Platz für ein paar eigene Gedanken. Also denk ich mir: Wenn ich du wäre, würde ich mein Schicksal lauthals verfluchen.« Er ließ sich zurückfallen, um in Stellex’ Hufspuren hinter dem Pferd herzulaufen.
Der Schnee reduzierte die Geräusche auf ein Minimum. Nun, da der Hohe Herr schwieg,
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