Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Marmer Dunne zog einen Hühnerflügel aus der Brusttasche, wischte achtlos einige Schmutzkrümel vom dunkel gebratenen Fleisch und knabberte daran herum. »Du hast schon viel zu lange nicht mehr dein Schwert geschwungen und stattdessen deine Zunge vom vielen Reden anschwellen lassen.«
»Irgendeiner muss es ja tun, Marmer. Zumal ich immer wieder mal deine Aufgaben mit übernehmen muss.«
»Was willst du damit sagen?« Der Rechte spuckte einen Knorpel aus.
»Dass du deine Pflichten vernachlässigst. Dass du viel zu oft beim Würfel- und Kartenspiel zu finden bist. Dass du immer mehr Zeit mit Huren und immer weniger mit Soldaten verbringst.«
»Einem anderen Kerl würde ich für diese Worte den Schwanz abreißen und ihm ins Maul stecken«, sagte Marmer Dunne lächelnd. Es war ein gefährliches, ein provozierendes Lächeln, das Metcairn Nife nur zu gut kannte.
»Auch Nontwede glaubte, mir drohen zu können. Ihr beide habt mehr gemein, als man glauben möchte.«
»Also schön.« Der Rechte schleuderte den zur Hälfte verzehrten Hühnerflügel weg. Einige streunende Hunde stürzten sich kläffend darauf. »Warum beleidigst du mich, Freund? Was gibt’s?«
»Ich brauche jemanden, auf den ich mich verlassen kann und der mir den Rücken freihält.«
»Ich war immer für dich da, Metcairn, und bin es auch heute.« Marmer Dunne sagte es mit einem treuherzigen und zugleich ernsten Blick, der glauben machen sollte, dass er seine Worte ernst meinte.
»Das freut mich zu hören. Deine Pflichten und deine Erfahrung als Rechter werden bei der Eroberung der Steilstädte von besonderer Bedeutung sein.« Metcairn Nife zögerte, bevor er fortfuhr: »Denk an unsere Ziele. Wofür wir kämpfen. Und für wen.«
»Ich tue den ganzen Tag nichts anderes. Ich denke an den Gottbettler, und ich frage mich …« Marmer Dunne verstummte, zögerte offenbar.
»Ja?«
»Ach, nichts.« Marmer Dunne winkte ab. »Du hast recht. Ich saufe zu viel, und wenn ich zu viel saufe, rede ich auch zu viel. Ich muss mal dieses schwere, brummende Ding, das anstelle eines Kopfs zwischen meinen Schultern steckt, in kaltes Wasser tauchen. Danach kümmere ich mich um meine Leute. Wenn du mich entschuldigst …«
»Natürlich, Rechter.« Metcairn Nife nickte seinem Freund zu und beobachtete ihn, wie er den ausgetretenen und schlammigen Weg entlangtorkelte, hin zu jenem Teil des Heereslagers, der seinen Leuten zur Verfügung stand.
Marmer Dunne würde sie auf Vordermann bringen und morgen, wenn es zu ersten Plänkeleien kam, an vorderster Front kämpfen. Als Vorbild aller Soldaten des Gottbettlers, als Held.
Doch es war nicht zu übersehen, dass der Rechte seine Pflichten vernachlässigte. Auch an diesem Tag trat er sie erst nach Metcairn Nifes Ermahnung an. Zudem war es gewiss kein Zufall, dass er erst aufgetaucht war, nachdem sich Nontwede verabschiedet hatte. Marmer Dunne war der Begegnung mit dem Magicus ausgewichen.
Vielleicht gab ihm eine seiner Huren das Gefühl, geliebt zu werden, oder vielleicht hatte er in der Schlacht um Moina eine Narbe zu viel erhalten. Vielleicht geriet er ins Grübeln angesichts der grauen Haare in seinem Bart und auf seinem Kopf.
Es war einerlei. Metcairn Nife würde es bedauern, einen derart guten Rechten zu verlieren. Aber so war der Gang der Dinge nun mal. Herr Rudynar Pole, Marmer Dunnes Vorvorgänger, war ein ebenso guter Mann gewesen. Doch auch ihn hatten die Zweifel gepackt, und er hatte das Weite gesucht, bevor Metcairn ihn für seine Fehler zur Rechenschaft hatte ziehen können.
»Hoher Herr?«
»Ja?«
Mehrere gesichts- und namenlose Ordonnanzen umschwirrten ihn auf einmal wie Schmeißfliegen.
»Die Generäle warten auf die morgendliche Befehlsausgabe. Ein Bote Pae Lorianders ist aus dem Westen kommend eingetroffen. Ein Vertreter der Unlebenden verlangt neue Order von dir. Es warten etwa zwei Dutzend Bittsteller auf einen Richterspruch, und du wirst in etwa ebenso vielen Fällen Strafurteile fällen müssen.«
Er würde also den Vormittag mit öder Routine verbringen müssen, statt sich im Training mit Soldaten messen oder seine strategischen Erfahrungen an aufstrebende Offiziere weitergeben zu können. Manchmal hatte er das Gefühl, dass ihn dieser riesenhafte Heeresmoloch stückweise verschlang. Es gab kaum etwas, das von den Illusionen seiner jungen Jahre übrig geblieben war. Nur der süße Geschmack des Triumphs war noch da, wenn er ein weiteres Stück Land im Auftrag des Gottbettlers erobert hatte und
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