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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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natürliche Selektion in ihrer allereinfachsten Form. Das Musterbeispiel eines Replikators ist ein Gen – ein DNA-Abschnitt, der sich über eine unendliche Zahl von Generationen hinweg fast immer mit äußerster Genauigkeit verdoppelt. Die zentrale Frage der Memtheorie lautet: Gibt es auch Einheiten der kulturellen Vererbung, die sich wie Gene als echte Replikatoren verhalten? Ich behaupte nicht, Meme seien zwangsläufig eine direkte Entsprechung zu den Genen, aber je ähnlicher sie den Genen sind, desto besser funktioniert die Memtheorie. In diesem Abschnitt möchte ich die Frage stellen, ob sich die Memtheorie auf den Spezialfall der Religion anwenden lässt.
    In der Welt der Gene sorgen die gelegentlichen Verdoppelungsfehler (Mutationen) dafür, dass der Genpool von jedem Gen verschiedene Varianten enthält, die »Allele«, die untereinander in Konkurrenz treten können. Worum konkurrieren sie? Um die Stelle auf dem Chromosom, den »Locus«, der zu dieser Allelgruppe gehört. Und wie konkurrieren sie? Nicht durch den direkten Kampf Molekül gegen Molekül, sondern über Stellvertreter. Diese Stellvertreter sind die »phänotypischen Merkmale«, Dinge wie Beinlänge oder Fellfarbe: Ausdrucksformen der Gene in Anatomie, Physiologie, Biochemie oder Verhalten. Das Schicksal eines Gens ist in der Regel an die Körper gebunden, in denen es sich nacheinander niederlässt. In dem gleichen Maß, in dem es in diesen Körpern eine Wirkung entfaltet, beeinflusst es auch seine eigenen Chancen, im Gesamtbestand der Gene erhalten zu bleiben. Im Laufe der Generationen nimmt die Häufigkeit einzelner Gene im gesamten Genpool auf dem Weg über ihre phänotypischen Stellvertreter zu oder ab.
    Könnte das Gleiche auch für die Meme gelten? In einer Hinsicht unterscheiden sie sich ganz deutlich von Genen: Es gibt keine eindeutig erkennbare Entsprechung zu Chromosomen, Loci, Allelen oder sexueller Vermischung. Der Mempool ist weniger strukturiert und organisiert als der Bestand an Genen. Dennoch ist es nicht offenkundig absurd, von einem Mempool zu sprechen, in dem einzelne Meme mit einer bestimmten »Häufigkeit« vorkommen, wobei sich diese Häufigkeit durch Konkurrenzbeziehungen zu anderen Memen ändern kann.
    Gegen Erklärungen, die sich auf Meme stützen, wurden verschiedene Einwände erhoben; diese erwachsen in der Regel aus der Tatsache, dass Meme nicht völlig den Genen gleichen. Die stoffliche Natur der Gene kennen wir heute genau (es sind DNA-Abschnitte); bei den Memen ist das nicht der Fall, und verschiedene Memetiker stiften Verwirrung, indem sie von einem physischen Medium zum anderen wechseln. Existieren Meme nur im Gehirn? Oder hat beispielsweise jedes mit einem Limerick bedruckte Papier und jede elektronische Kopie ebenfalls ein Anrecht darauf, als Mem bezeichnet zu werden? Außerdem verdoppeln sich Gene sehr präzise; ist dagegen die Kopiergenauigkeit der Meme nicht sehr gering – vorausgesetzt, sie vervielfältigen sich überhaupt?
    Diese angeblichen Probleme der Memtheorie werden übertrieben. Der wichtigste Einwand ist die Behauptung, Meme würden so ungenau verdoppelt, dass sie nicht als darwinistische Replikatoren fungieren könnten. Wenn die »Mutationsrate« in jeder Generation sehr hoch ist, so die Vermutung, ist das Mem durch die Mutationen bereits verschwunden, bevor die darwinistische Selektion sich überhaupt auf seine Häufigkeit im Mempool auswirken kann. Aber das ist nur ein Scheinproblem. Man stelle sich einen Schreinermeister oder einen prähistorischen Steinwerkzeughersteller vor, der einem jungen Lehrling eine bestimmte Fähigkeit beibringt. Würde der Lehrling ganz genau jede Handbewegung des Meisters nachahmen, müsste man tatsächlich damit rechnen, dass das Mem schon nach wenigen »Generationen« der Weitergabe bis zur Unkenntlichkeit mutiert ist. Aber der Lehrling kopiert natürlich nicht genau jede Handbewegung. Das wäre lächerlich. In Wirklichkeit merkt er, welches Ziel der Meister erreichen will, und ahmt es nach. Er schlägt einen Nagel ein, bis der Nagelkopf versenkt ist, und führt die dazu erforderliche Zahl von Hammerschlägen aus – und das muss nicht die gleiche sein, die der Meister gebraucht hat. Solche Regeln können ohne Mutation über eine unbegrenzte Zahl von Nachahmungs»generationen« weitergegeben werden, und dabei spielt es keine Rolle, ob sich die Ausführung in den Einzelheiten von einer Person zur nächsten oder von Fall zu Fall unterscheidet. Die Stiche beim Nähen,

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