Der Gotteswahn
nackt sind. Diese Ihre Prüderie trägt jeden Tag zur Überfülle menschlichen Elends bei.«
Kommen wir jetzt zum Sadomasochismus. Gott verkörperte sich als Mann namens Jesus, damit er als Sühne für Adams Erbsünde gefoltert und hingerichtet werden konnte. Seit Paulus diese abstoßende Lehre entwickelte, wurde Jesus immer als Erlöser von allen unseren Sünden angebetet. Nicht nur von den früheren Sünden Adams, sondern auch von zukünftigen Sünden, ganz gleich, ob zukünftige Menschen sich entschließen, sie zu begehen, oder nicht!
Noch eine weitere Anmerkung: Schon vielen Menschen, darunter auch Robert Graves in seinem umfangreichen Roman King Jesus (König Jesus) , ist aufgefallen, dass der arme Judas Ischariot in der Geschichte unverdient schlecht wegkommt. Immerhin war sein »Verrat« ein unabdingbarer Teil des kosmischen Plans. Das Gleiche kann man auch über Jesu angebliche Mörder behaupten. Wenn Jesus verraten und ermordet werden wollte, um uns alle zu erlösen, ist es eigentlich doch unfair, wenn diejenigen, die sich selbst für erlöst halten, ihren Zorn über Jahrtausende hinweg an Judas und den Juden auslassen. Ich habe bereits die lange Liste der nicht kanonischen Evangelien erwähnt. Ein Manuskript, bei dem es sich angeblich um das verschollene Judasevangelium handelt, wurde kürzlich übersetzt und erregte deshalb das Interesse der Öffentlichkeit. 107 Es wurde unter umstrittenen Umständen entdeckt, aber offensichtlich tauchte es in den Sechziger- oder Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts in Ägypten auf. Die 62 in koptischer Schrift beschriebenen Papyrusblätter wurden mit der Radiokarbonmethode auf die Zeit um 300 n.Chr. datiert, der Text geht aber wahrscheinlich auf ein älteres griechisches Manuskript zurück.
Wer der Verfasser auch gewesen sein mag, in jedem Fall enthält dieses Evangelium eine Schilderung aus der Sicht von Judas Ischariot, und es behauptet, Judas habe Jesus nur deshalb verraten, weil dieser ihn darum gebeten hatte, eine solche Rolle zu spielen. Der Verrat habe zu einem Plan mit dem Ziel gehört, Jesus kreuzigen zu lassen, damit er die Menschheit erlösen konnte. So heimtückisch diese Lehre ohnehin ist, sie wird noch dadurch verschlimmert, dass Judas seither stets zum Bösewicht erklärt wurde. [44]
Ich habe die Sühne, die zentrale Doktrin des Christentums, als bösartig, sadomasochistisch und abstoßend bezeichnet. Eigentlich könnten wir sie auch als total verrückt abtun, wäre sie uns nicht so vertraut, dass unsere Objektivität eingelullt wurde. Wenn Gott uns unsere Sünden vergeben will, warum vergibt er sie dann nicht einfach, ohne sich selbst dafür foltern und hinrichten zu lassen – womit er übrigens zukünftige Generationen der Juden zu Pogromen und zur Verfolgung als »Christusmörder« verdammte? Wurde auch diese Erbsünde mit dem Samen weitergegeben?
Paulus, das machte der jüdische Wissenschaftler Geza Vermes deutlich, hing an dem alten theologischen Prinzip der Juden, wonach es ohne Blut keine Sühne gebe. 108 Genau das sagt er zum Beispiel in seinem Brief an die Hebräer (9,22). Dagegen tun sich progressive Ethiker heute wirklich schwer damit, irgendeine Theorie zu vertreten, in der Strafe eine Vergeltung darstellt, ganz zu schweigen von der Theorie des Sündenbocks – ein Unschuldiger wird hingerichtet und bezahlt damit für die Sünden der Schuldigen. Ohnehin muss man sich fragen: Wen wollte Gott eigentlich beeindrucken? Vermutlich sich selbst – er war Richter, Gericht und Hinrichtungsopfer in einem.
Als Krönung des Ganzen kommt noch hinzu, dass Adam, der angeblich die Erbsünde beging, in Wirklichkeit nie existiert hat. Dass Paulus das nicht wusste, kann man ihm nachsehen, aber einem allwissenden Gott (und auch Jesus, wenn man glaubt, dass er Gott war) hätte es eigentlich bekannt sein müssen. Jedenfalls bringt diese seltsame Tatsache das gesamte Fundament dieser ganzen quälend gehässigen Theorie zum Einsturz. Ach ja, natürlich, die ganze Geschichte von Adam und Eva war ja nur ein Symbol , stimmt’s? Ein Symbol ? Um sich selbst zu beeindrucken, musste Jesus also gefoltert und hingerichtet werden, als stellvertretende Bestrafung für eine symbolische Sünde, begangen von einer Person, die gar nicht existiert hat ? Wie gesagt, das ist nicht nur boshaft und unangenehm, sondern auch völlig verrückt.
Bevor ich das Thema Bibel verlasse, muss ich noch auf einen besonders ungenießbaren Aspekt ihrer ethischen Lehren aufmerksam machen.
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