Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
Vom Netzwerk:
ausdrücklich in säkularen Begriffen formuliert wurde. Würden wir die Zehn Gebote ernst nehmen, müssten wir die Verehrung der falschen Götter und die Herstellung von Götzenbildern als wichtigste und zweitwichtigste Sünde einstufen. Statt den unaussprechlichen Vandalismus der Taliban zu verdammen, die in den Bergen Afghanistans die 45 Meter hohen Buddhastatuen von Bamiyan sprengten, müssten wir sie wegen ihrer rechtschaffenen Frömmigkeit loben. Was wir bei ihnen für Vandalismus halten, war sicher von ehrlichem religiösem Eifer getragen. Dies zeigt sich sehr deutlich in einer wahrhaft bizarren Geschichte, mit der die Londoner Zeitung Independent am 6. August 2005 aufmachte.
    Unter der Schlagzeile »Die Zerstörung Mekkas« berichtete das Blatt:

    Das historische Mekka, die Wiege des Islam, ist beispiellosen Angriffen religiöser Eiferer ausgesetzt. Nahezu die gesamte reichhaltige, vielschichtige Geschichte der heiligen Stadt ist verschwunden. […] Derzeit ist der Geburtsort des Propheten Mohammed von Bulldozern bedroht, und das mit stillschweigender Duldung der saudischen Religionsbehörden, die aufgrund ihrer strengen Interpretation des Islam überzeugt sind, sie müssten ihr eigenes Erbe auslöschen. […] Das Motiv hinter der Zerstörung ist die fanatische Furcht der Wahhabiten, Orte von historischem oder religiösem Interesse könnten Götzenverehrung oder Polytheismus entstehen lassen, das heißt die Anbetung mehrerer, potenziell gleichberechtigter Götter. Götzenverehrung kann in Saudi-Arabien noch heute theoretisch mit dem Tod durch Enthauptung bestraft werden. [43]

    Nach meiner Überzeugung gibt es auf der ganzen Welt keinen einzigen Atheisten, der Mekka – oder Chartres, York Minster, Notre Dame, die Shwedagon-Pagode, die Tempel von Kyoto oder natürlich die Buddhas von Bamiyan – mit dem Bulldozer platt machen würde. Der amerikanische Physik-Nobelpreisträger Steven Weinberg sagte einmal: »Religion ist eine Beleidigung für die Menschenwürde. Mit ihr oder ohne sie gibt es gute Menschen, die gute Dinge tun, und böse Menschen, die böse Dinge tun. Aber damit gute Menschen böse Dinge tun, braucht es die Religion.« Eine ähnliche Äußerung stammt von Blaise Pascal (dem Mann mit der Wette): »Die Menschen tun nie so vollständig und fröhlich etwas Böses, als wenn sie es aus religiöser Überzeugung tun.«
    Ich wollte hier nicht in erster Linie aufzeigen, dass wir unsere Moral nicht aus der Bibel beziehen sollten (obwohl ich dieser Meinung bin). Mein Ziel war ein anderes: Ich wollte nachweisen, dass wir (und das schließt die meisten religiösen Menschen ein) unsere Moral in Wirklichkeit nicht aus der Bibel beziehen. Wäre das der Fall, würden wir uns streng an den Sabbat halten und es für gerecht und richtig halten, jeden hinzurichten, der dies nicht tut. Wir würden jede Braut steinigen, wenn ihr Ehemann sich unzufrieden mit ihr zeigt und wenn sie nicht beweisen kann, dass sie noch Jungfrau war. Wir würden ungehorsame Kinder töten. Wir würden … aber Moment mal. Vielleicht war ich unfair. Nette Christen hätten vielleicht schon gegen diesen ganzen Abschnitt protestiert: Dass das Alte Testament ziemlich unangenehm ist, weiß schließlich jeder. Aber das Neue Testament und Jesus – sie bessern den Schaden aus und bringen alles in Ordnung. Ist es nicht so?

Ist das Neue Testament wirklich besser?

    Eines ist nicht zu leugnen: Aus ethischer Sicht ist Jesus gegenüber dem grausamen Ungeheuer aus dem Alten Testament ein großer Fortschritt. Wenn Jesus wirklich existiert hat, war er (und wenn nicht, dann der Autor der Berichte über ihn) sicher einer der großen ethischen Neuerer der Geschichte. Die Bergpredigt ist ihrer Zeit weit voraus. Und sein Prinzip, »die andere Wange hinzuhalten«, nahm Gandhi und Martin Luther King um zweitausend Jahre vorweg. Nicht umsonst schrieb ich einmal einen Artikel mit der Überschrift »Atheisten für Jesus« (und war später begeistert, als man mir ein T-Shirt mit dieser Aufschrift schenkte). 104
    Aber die ethische Überlegenheit Jesu macht besonders deutlich, worum es mir geht. Jesus gab sich nicht damit zufrieden, seine Ethik aus den Schriften zu beziehen, mit denen er aufgewachsen war. Er distanzierte sich ausdrücklich von ihnen, zum Beispiel als er aus den düsteren Drohungen für die Verletzung des Sabbats die Luft herausließ. »Der Sabbat wurde für die Menschen gemacht und nicht die Menschen für den Sabbat« wurde ganz allgemein zu einem klugen

Weitere Kostenlose Bücher