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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Zitate dieser Art. Häufig setzt er darin das Christentum mit dem Bolschewismus gleich, an manchen Stellen zieht er Parallelen zwischen Karl Marx und Paulus, und er vergisst nie, dass beide Juden waren (wobei Hitler seltsamerweise stets felsenfest darauf beharrte, dass Jesus kein Jude gewesen sei). Möglicherweise hatte Hitler bis 1941 eine Art Abkehr oder Desillusionierung hinter sich, was das Christentum anging. Oder sind die Widersprüche einfach dadurch zu erklären, dass er ein opportunistischer Lügner war, dessen Worten man so oder so nicht glauben konnte?
    Nun könnte man argumentieren, Hitler sei seinen eigenen Worten und denen seiner Vertrauten zum Trotz in Wirklichkeit nicht religiös gewesen, sondern habe nur die religiösen Einstellungen seiner Zuhörer zynisch ausgenutzt. Vielleicht war er ja der gleichen Ansicht wie Napoleon, der einmal sagte: »Religion eignet sich hervorragend dazu, einfache Leute ruhig zu stellen«, oder wie Seneca der Jüngere, der meinte: »Religion gilt dem gemeinen Mann als wahr, dem Weisen als falsch und dem Herrscher als nützlich.« Dass Hitler zu einer solchen Unehrlichkeit fähig war, würde niemand leugnen.
    Doch selbst wenn dies sein wahres Motiv gewesen sein sollte, sich als religiös auszugeben, ist daran zu erinnern, dass Hitler seine Gräueltaten nicht allein verübte. Ausgeführt wurden die schrecklichen Taten von Soldaten und Offizieren, die in ihrer Mehrzahl sicherlich Christen waren. Ja, das Christentum des deutschen Volkes bildet sogar den Hintergrund für die ganze Hypothese, die wir hier erörtern und mit der wir die mutmaßliche Unehrlichkeit von Hitlers religiösen Bekenntnissen erklären wollen.
    Vielleicht hatte Hitler auch den Eindruck, er müsse eine gewisse Sympathie für das Christentum erkennen lassen, weil sein Regime sonst von der Kirche keine derart starke Unterstützung erhalten hätte. Diese Unterstützung kam auf vielfache Weise zum Ausdruck. Unter anderem weigerte sich Papst Pius XII. hartnäckig, gegen die Nazis Stellung zu beziehen – heute für die Kirche ein Thema von beträchtlicher Peinlichkeit. Entweder waren Hitlers Bekenntnisse zum Christentum ehrlich gemeint, oder er täuschte den christlichen Glauben nur vor, um die Zustimmung der deutschen Christen und der katholischen Kirche zu gewinnen – was ihm auch gelang. So oder so kann man wohl kaum behaupten, die Gräueltaten des Hitler-Regimes hätten ihre Wurzeln im Atheismus.
    Selbst wenn Hitler gegen das Christentum vom Leder zog, verzichtete er nie auf das Gerede von der Vorsehung, einer geheimnisvollen Instanz, die ihn nach seiner eigenen Überzeugung dazu ausersehen hatte, Deutschland in göttlicher Mission zu führen. Manchmal bezeichnete er sie als »Vorsehung«, bei anderen Gelegenheiten als »Gott«. Als Hitler 1938 nach dem »Anschluss« Österreichs im Triumph in Wien einfuhr, erwähnte er in seiner überschwänglichen Rede Gott im Gewande der Vorsehung: »In diesem Augenblick möchte ich nur dem danken, der mich einst von hier weggehen ließ in meine Heimat, auf dass ich sie hineinführe ins Deutsche Reich, in ein Deutsches Reich.« 126
    Nachdem Hitler 1939 in München nur knapp einem Attentat entgangen war, erklärte er, die Vorsehung habe eingegriffen und ihm durch eine Änderung seines Terminkalenders das Leben gerettet: Er habe den Bürgerbräukeller schon früher als vorgesehen verlassen, und dies sei eine Bestätigung, dass er dazu ausersehen sei, seine Ziele zu erreichen. Der Erzbischof von München, Kardinal Michael Faulhaber, ordnete nach dem fehlgeschlagenen Attentat an, im Dom ein Te Deum zu lesen und »der göttlichen Vorsehung im Namen der Erzdiözese für die glückliche Rettung des Führers zu danken«. 127
    Einige Gefolgsleute Hitlers ließen mit Unterstützung von Goebbels keinen Zweifel daran, dass sie den Nationalsozialismus selbst zu einer Religion machen wollten. Das folgende Zitat stammt von Reichsarbeitsführer Robert Ley; es wirkt bewusst wie ein Gebet und hat sogar den Tonfall des christlichen Vaterunsers oder des Glaubensbekenntnisses: 128

    Adolf Hitler! Dir sind wir allein verbunden! Wir wollen in dieser Stunde das Gelöbnis erneuern: Wir glauben auf dieser Erde allein an Adolf Hitler. Wir glauben, daß der Nationalsozialismus der allein seligmachende Glaube für unser Volk ist. Wir glauben, daß es einen Herrgott im Himmel gibt, der uns geschaffen hat, der uns führt, der uns lenkt und der uns sichtbarlich segnet. Und wir glauben, daß dieser

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