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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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zweite könne eine Folge der ersten sein, ist unlogisch. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass Hitler und Stalin den Atheismus gemeinsam hatten: Sie hatten auch beide einen Schnauzbart. Saddam Hussein auch. Na und?
    Die interessante Frage ist nicht, ob einzelne böse (oder gute) Menschen Religionsanhänger oder Atheisten waren. Es ist nicht unsere Aufgabe, böse Köpfe zu zählen und zwei konkurrierende Listen mit Niederträchtigen aufzustellen. Die Tatsache, dass die Gürtelschnallen der Nazis die Aufschrift »Gott mit uns« trugen, beweist überhaupt nichts, jedenfalls nicht ohne eine weitere ausführliche Diskussion. Entscheidend ist nicht, ob Hitler und Stalin Atheisten waren, sondern ob der Atheismus die Menschen systematisch dazu veranlasst , schlimme Dinge zu tun. Und dafür gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt.
    Dass Stalin tatsächlich Atheist war, scheint außer Zweifel zu stehen. Er wurde in einer russisch-orthodoxen Bildungsanstalt erzogen, und seine Mutter war zeit ihres Lebens enttäuscht, dass er entgegen ihren Absichten nicht Priester geworden war – eine Tatsache, die nach Angaben von Alan Bullock Stalin stets als Anlass zur Heiterkeit diente. 117 Vielleicht lag es an seiner Priesterausbildung, dass Stalin nicht nur der russisch-orthodoxen Kirche, sondern dem Christentum und der Religion im Allgemeinen abschätzig begegnete. Aber es gibt kein Indiz dafür, dass sein Atheismus das Motiv für seine Brutalität lieferte. Ebenso wenig lagen die Beweggründe offenbar in seiner früheren religiösen Ausbildung, vielleicht abgesehen davon, dass man ihn gelehrt hatte, absolutistische Überzeugungen und starke Autoritäten zu verehren und zu glauben, dass der Zweck jedes Mittel rechtfertigt.
    Die Legende, Hitler sei Atheist gewesen, wurde beharrlich gepflegt, und heute glauben viele Menschen daran, ohne weiter nachzufragen. Von Religionsanhängern wird sie regelmäßig und trotzig wieder aufgetischt. In Wahrheit ist die Frage alles andere als geklärt. Hitler wurde in eine katholische Familie hineingeboren und besuchte als Kind sowohl katholische Schulen als auch katholische Kirchen. Das allein ist natürlich nicht von Bedeutung: Er hätte die Religion ohne weiteres aufgeben können, genau wie Stalin seinen russisch-orthodoxen Glauben aufgab, nachdem er das theologische Seminar von Tiflis verlassen hatte. Aber Hitler sagte sich nie offiziell vom Katholizismus los, und Indizien aus seinem gesamten Leben weisen darauf hin, dass er nach wie vor religiös war. Er behielt vielleicht nicht die katholischen Überzeugungen bei, glaubte aber offensichtlich nach wie vor an eine Art göttliche Vorsehung. In Mein Kampf etwa berichtet er über seine Reaktion, als er von der Kriegserklärung im Ersten Weltkrieg erfuhr: »Ich schäme mich auch heute nicht, es zu sagen, dass ich, überwältigt von stürmischer Begeisterung, in die Knie gesunken war und dem Himmel aus übervollem Herzen dankte, dass er mir das Glück geschenkt, in dieser Zeit leben zu dürfen.« 118 Aber das war 1914, da war er erst fünfundzwanzig. Vielleicht änderte sich seine Einstellung später?
    Im Jahre 1920 – Hitler war einunddreißig – schrieb sein enger Weggefährte und späterer Stellvertreter Rudolf Heß in einem Brief an den bayerischen Ministerpräsidenten: »Herrn Hitler kenne ich persönlich sehr gut, da ich ihn beinahe täglich spreche und ihm auch menschlich nahe stehe. Es ist ein selten anständiger, lauterer Charakter, voll tiefer Herzensgüte, religiös, ein guter Katholik.« 119 Natürlich könnte man sagen: Heß hatte mit dem »anständigen Charakter« und der »tiefen Herzensgüte« so krass unrecht, da wird die Aussage über den »guten Katholiken« wohl ebenfalls nicht gestimmt haben! Man kann Hitler wohl kaum in irgendeiner Hinsicht als »gut« bezeichnen.
    Das erinnert mich an ein Argument von seltener Dreistigkeit, das mir häufiger als Beleg für die Behauptung, Hitler sei Atheist gewesen, entgegengehalten wurde. Seine verschiedenen Versionen kann man so zusammenfassen: Hitler war ein schlechter Mensch; das Christentum lehrt uns, gut zu sein; also kann Hitler kein Christ gewesen sein! Mit seiner Bemerkung über Hitler, nur ein Katholik habe Deutschland vereinigen können, hätte Göring demnach jemanden gemeint, der katholisch erzogen war, und nicht jemanden mit katholischem Glauben.
    Im Jahr 1933 sagte Hitler bei einer Rede in Berlin, er sei überzeugt, dass die Menschen den Glauben brauchten; deshalb habe er die

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