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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Selektion. Eigentlich ist Gestaltung überhaupt keine Alternative, denn sie wirft ein viel größeres Problem auf als das, welches sie zu lösen vorgibt: Wer gestaltete den Gestalter? Für das Problem der statistischen Unwahrscheinlichkeit versagen Zufall und Gestaltung als Lösung gleichermaßen, denn der Zufall ist das Problem, und die Gestaltung läuft durch Regression darauf hinaus. Dagegen ist die natürliche Selektion eine echte Lösung. Sie ist die einzige funktionierende Lösung, die jemals vorgeschlagen wurde. Und sie funktioniert nicht nur, sie ist auch von verblüffender Eleganz und Kraft.
    Wie kommt es, dass die natürliche Selektion das Problem der Unwahrscheinlichkeit lösen kann, während Zufall und Gestaltung von vornherein zum Scheitern verurteilt sind? Die Antwort lautet: Natürliche Selektion ist ein additiver Prozess, der das Problem der Unwahrscheinlichkeit in viele kleine Teile zerlegt. Jedes dieser Teile ist zwar immer noch ein wenig unwahrscheinlich, aber nicht so sehr, dass sich ein echtes Hindernis ergeben würde. Folgen viele solcher mäßig unwahrscheinlichen Ereignisse in einer Reihe aufeinander, so ist das Endprodukt der Anhäufung tatsächlich so unwahrscheinlich, dass es weit außerhalb der Reichweite des Zufalls liegt. Diese Endprodukte sind der Gegenstand der gebetsmühlenhaft wiederholten kreationistischen Argumente.
    Der Kreationist geht völlig am Wesentlichen vorbei, weil er (Frauen sollten sich hier ausnahmsweise nichts daraus machen, dass sie durch das Pronomen ausgeschlossen werden) darauf besteht, das Eintreten des statistisch Unwahrscheinlichen als ein einziges Ja-Nein-Ereignis zu betrachten. Die Leistung der Akkumulation begreift er einfach nicht.
    In meinem Buch Climbing Mount Improbable (Gipfel des Unwahrscheinlichen) habe ich diese Aussage in die Form einer Parabel gekleidet. Auf einer Seite des Berges ist eine Felswand, die man unmöglich besteigen kann, aber auf der anderen Seite führt eine sanfte Böschung zum Gipfel. Auf dem Gipfel steht ein komplexes Gebilde, beispielsweise ein Auge oder der Flagellenmotor der Bakterien. Die absurde Vorstellung, diese Komplexität könne sich spontan selbst bilden, wird durch den Sprung vom Fuß der Felswand zum Gipfel symbolisiert. Die Evolution dagegen begibt sich auf die andere Seite des Berges und kriecht über die sanfte Steigung zum Gipfel – das ist ganz leicht. Das Prinzip des Aufstiegs über die sanfte Böschung im Gegensatz zum Sprung über die Felswand ist so einfach, dass man sich eigentlich fragen muss, warum es so lange dauerte, bis ein Darwin auf der Bildfläche erschien und es entdeckte. Als ihm das gelang, waren seit Newtons annus mirabilis fast zweihundert Jahre vergangen, obwohl dessen Erkenntnisse allem Anschein nach viel schwieriger zu gewinnen waren als die Darwins.
    Eine andere beliebte Metapher für extreme Unwahrscheinlichkeit ist das Zahlenschloss an einem Banktresor. Theoretisch könnte ein Bankräuber Glück haben und rein zufällig die richtige Kombination treffen. In der Praxis ist das Schloss mit einem so großen Unwahrscheinlichkeitsfaktor konstruiert, dass ein solches Szenario quasi ausgeschlossen ist – es ist fast ebenso unwahrscheinlich wie die Entstehung von Fred Hoyles Boeing 747. Aber stellen wir uns einmal ein minderwertiges Zahlenschloss vor, das uns nach und nach kleine Anhaltspunkte liefert –
die Entsprechung zu den »Wärmer, wärmer«-Rufen von Kindern beim Topfschlagen oder Ostereiersuchen mit verbundenen Augen. Angenommen, die Tür öffnet sich jedes Mal ein kleines Stück weiter, wenn man der richtigen Einstellung näher kommt, und jedes Mal fällt ein wenig Geld heraus. Dann hätte der Räuber den Tresor in kürzester Zeit ausgeräumt.
    Kreationisten, die das Unwahrscheinlichkeitsargument für ihre Zwecke nutzbar machen wollen, unterstellen immer, biologische Anpassung sei ein Alles-oder-Nichts-Phänomen. Ein anderer Name für das »Alles oder Nichts« lautet »Nicht reduzierbare Komplexität« (NRK). Entweder das Auge kann sehen, oder es kann nicht sehen. Entweder der Flügel fliegt, oder er fliegt nicht. Man geht davon aus, dass es keine nützlichen Zwischenformen gibt. Aber das ist schlicht und einfach falsch. In Wirklichkeit findet man solche Zwischenformen in Hülle und Fülle – und genau das würde man nach der Theorie auch erwarten. Das Zahlenschloss des Lebendigen ist eine »Wärmer, kälter, wieder wärmer«-Ostereiersuchmaschine. Das wirkliche Leben sucht sich die

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