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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Auch hier will der Darwinist wissen, warum die Menschen anfällig für die Verlockungen der Religion sind und sich so der Ausbeutung durch Priester, Politiker und Könige aussetzen.
    Ein zynischer Herrscher könnte auch die sexuelle Lust als Mittel der politischen Macht einsetzen, aber dann brauchen wir ebenfalls eine darwinistische Erklärung dafür, warum es funktioniert. Im Fall der sexuellen Lust ist die Antwort einfach: Unser Gehirn ist so eingerichtet, dass Sex uns Spaß macht, weil Sex im Naturzustand der Produktion von Nachkommen dient. Ein politischer Herrscher kann seine Ziele auch mit Folter durchsetzen. Wiederum muss der Darwinist einen Grund dafür benennen, warum Folter ihren Zweck erreicht – warum wir also fast alles dafür tun, heftige Schmerzen zu vermeiden. Auch hier erscheint die Antwort beinahe banal, aber der Darwinist muss sie dennoch formulieren: Die natürliche Selektion hat Schmerzen zu einem Zeichen für lebensbedrohliche körperliche Schäden gemacht und uns darauf programmiert, sie zu vermeiden. Die wenigen Menschen, die keine Schmerzen empfinden oder sich nicht darum kümmern, sterben in der Regel schon in jungen Jahren an Verletzungen, denen wir anderen aktiv aus dem Weg gegangen wären. Aber was ist die Ursache für die Lust auf Götter? Ob sie nun zynisch ausgenutzt wird oder sich von selbst manifestiert – wie lautet die letztgültige Erklärung dafür?

Gruppenselektion

    Manche angeblich letztgültigen Erklärungen erweisen sich als Theorien der »Gruppenselektion« oder wurden sogar ausdrücklich als solche bezeichnet. Unter Gruppenselektion versteht man die umstrittene Vorstellung, dass die darwinistische Selektion zwischen biologischen Arten oder anderen Gruppen von Individuen unterscheidet. Der Archäologe Colin Renfrew aus Cambridge äußerte die Vermutung, das Christentum habe durch eine Art Gruppenselektion überlebt, weil es Loyalität und brüderliche Liebe innerhalb der Gruppe förderte, was es den religiösen Gruppen erleichterte, auf Kosten nichtreligiöser Gruppen zu überleben. D.S. Wilson, der amerikanische Apostel der Gruppenselektion, entwickelte unabhängig davon in seinem Buch Darwin’s Cathedral: Evolution , Religion and the Nature of Society (»Darwins Kathedrale: Evolution, Religion und das Wesen der Gesellschaft«) eine ausführlichere, im Wesentlichen aber ähnliche Vorstellung.
    Wie eine solche Gruppenselektionstheorie für die Religion aussehen könnte, möchte ich an einem erfundenen Beispiel deutlich machen. Ein Stamm mit einem rührigen, streitsüchtigen »Kriegsgott« gewinnt Konflikte mit Nachbarstämmen, deren Götter Frieden und Harmonie verlangen, und auch mit Stämmen, die überhaupt keine Götter haben. Krieger, die unbeirrbar daran glauben, dass sie nach einem Märtyrertod sofort ins Paradies kommen, kämpfen tapfer und geben bereitwillig ihr Leben. Stämme mit einer solchen Religion überleben in den Stammeskriegen also eher, stehlen den unterworfenen Stämmen das Vieh und nehmen sich deren Frauen als Konkubinen. Solche erfolgreichen Stämme bringen zahlreiche Tochterstämme hervor, die abwandern und wiederum Tochterstämme produzieren, wobei alle den gleichen Stammesgott anbeten. Die Vorstellung, dass Gruppen Tochtergruppen hervorbringen wie ein Bienenvolk, von dem sich Schwärme abspalten, ist übrigens durchaus plausibel. Eine solche Aufspaltung von Dörfern dokumentierte beispielsweise der Anthropologe Napoleon Chagnon in seiner berühmten Untersuchung über die »wilden Menschen«, die Yanomamö im südamerikanischen Regenwald. 84
    Chagnon ist kein Anhänger der Gruppenselektion, und ich bin es auch nicht. Es gibt stichhaltige Einwände dagegen. Da ich in der Kontroverse parteiisch bin, muss ich mich davor hüten, hier mein Steckenpferd zu reiten und mich zu weit vom Thema des Buches zu entfernen. Manche Biologen lassen jedoch erkennen, dass sie die echte Gruppenselektion wie in meinem hypothetischen Beispiel des Kriegsgottes mit etwas anderem verwechseln, das sie ebenfalls als Gruppenselektion bezeichnen, das sich aber bei näherem Hinsehen entweder als Verwandtenselektion oder als wechselseitiger Altruismus entpuppt (siehe Kapitel 6).
    Auch diejenigen, die wie ich die Gruppenselektion nicht für besonders wichtig halten, räumen jedoch ein, dass sie prinzipiell ablaufen kann. Die Frage ist nur, ob sie nennenswerten Einfluss auf die Evolution gewonnen hat. Stellt man sie als Alternative neben die Selektion auf niedrigerem Niveau –

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