Der Graben: Thriller (German Edition)
Endlosschleife vor ihrem inneren Auge ab; je mehr sie versuchte, es abzuschütteln, desto klebriger setzte es sich in ihren Hirnwindungen fest. Sie konnte den seltsamen Moment sehen, in dem Shigekos fallender Körper scheinbar auf sie zugeglitten war, bevor er im Meer versank. Die Art und Weise, wie Shigeko gefallen war, kam ihr weder real noch natürlich vor.
Dann erinnerte sie sich daran, was sie am Abend zuvor nach ihrem Essen mit Hashiba beobachtet hatte. Wie sie gerade das Gebäude verließen, als Seiji Fujimura vor ihnen auf die Straße herunterkrachte. Noch ein Selbstmord – binnen zwei Tagen war sie Zeugin ebenso vieler Stürze in den Tod geworden. Nicht nur das, sie hatte sogar beide Betroffene gekannt. Saeko hatte Mühe, zu begreifen, was dieses Zusammentreffen von Umständen bedeutete. Auch jetzt noch erinnerte sie sich deutlich daran, wie Seijis Körper herabzuschweben schien, federleicht, sein Geist schien von seinem Körper getrennt zu sein und den Gesetzen der Schwerkraft nicht mehr zu gehorchen. Dennoch war sein Körper mit einem sehr realen dumpfen Schlag auf dem Boden aufgeprallt, und die Äste des Baumes hatten weiter geschaukelt, wie um den Absturz zu bezeugen.
Saeko verdrängte das schreckliche Bild, da sie das Gefühl hatte, sich sonst übergeben zu müssen. Doch sie wusste, dass sie etwas tun musste, sie konnte nicht einfach so hier sitzen. Wenn Hashiba da wäre, würde sie sich an ihn wenden, doch da er fort war, musste sie wahrscheinlich zu Kagayama gehen.
Sie rief auf Kagayamas Zimmer an. Als er sich meldete, erklärte sie in knappen Sätzen, was sie beobachtet hatte.
»S-Sie meinen…«, stammelte er und brach ab.
»Was sollen wir tun?« Saeko verfluchte sich für diese kindische Frage und umklammerte den Hörer.
»Ich denke, wir sollten in Frau Toriis Zimmer nachsehen«, schlug Kagayama vor. Saeko legte auf, schleppte sich auf den Korridor hinaus und wartete vor dem Zimmer. Sie klopfte einmal und wartete ab, ohne mit einer Antwort zu rechnen – nicht nach dem, was sie eben gesehen hatte. Shigeko Toriis lebloser Körper würde jetzt von den Wellen herumgeworfen, am zerklüfteten Fuß der Klippen zerfetzt.
Bald stießen Kagayama, Kato und Hosokawa zu ihr. Kagayama trat vor und hämmerte mit der Faust an die Tür.
»Frau Torii? Sind Sie wach?«
Es war nicht, dass Kagayama Saekos Worten keinen Glauben schenkte. Er versuchte offenbar, gedämpft zu sprechen, doch seine Stimme hallte trotzdem im leeren Korridor. Als er aufhörte zu klopfen und das Ohr an die Tür legte, war kein Laut zu hören.
Er wandte sich zu Kato um. »Kannst du den Hoteldirektor rufen?«
Kato nickte und rannte den Korridor hinunter. Saeko, Kagayama und Hosokawa standen in bedrücktem Schweigen da, bis er nach wenigen Minuten zurückkehrte. Allen war klar, dass dies das Aus für die Sendung bedeuten konnte, und sie sahen entsprechend niedergeschlagen aus.
In Begleitung Katos trat der Direktor zur Tür und zog einen Hauptschlüssel hervor. Er klopfte noch einmal, um sicherzugehen, dass niemand antwortete. Dann steckte er ohne weiteres Zögern den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür.
Das Zimmer war ebenso groß wie Saekos, nur das Bad lag auf der anderen Seite. Der Direktor schaltete das Licht an und ging hinein. Unter den Laken lag ein kleines Häufchen, und auf dem Kissen ruhte Shigekos runzliges Gesicht. Es gab keinerlei Anzeichen für etwas Ungewöhnliches. Die Laken waren bis zu den Schultern der alten Frau hochgezogen, und ihr Körper lag ausgestreckt darunter. Als Saeko ans Bett trat und sich vergewisserte, dass die Person darin Shigeko war, schlug sie sich unwillkürlich die Hand vor den Mund. Dann stützte sie sich an der Wand ab und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.
Im grellen Neonlicht des Zimmers sah Shigekos Gesicht eingesunken und bleich aus. Betroffen beugte der Direktor sich über sie und sprach ihr ins Ohr. Er rief ein paarmal, doch es kam nicht nur keine Antwort, Shigeko atmete auch nicht. Er legte die Hand an ihren Hals, um den Puls zu suchen, und schüttelte den Kopf.
»Ich fürchte, sie ist verstorben.« Dem Direktor wäre es vermutlich lieber gewesen, kein Aufhebens von der Sache zu machen, doch das kam nicht wirklich infrage, wenn jemand eine Leiche in einem Hotelzimmer gefunden hatte. »Ich verständige die Polizei«, informierte er die anderen.
Er rief vom Zimmertelefon aus auf der Polizeiwache an. Während er die Situation erklärte, standen die anderen regungslos
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