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Der Graben: Thriller (German Edition)

Der Graben: Thriller (German Edition)

Titel: Der Graben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kôji Suzuki
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diesem Fall unter einen Hut zu bringen. Sie beantwortete alle Fragen, so gut sie konnte. Sie berichtete, dass sie am Vorabend an ihr Fenster getreten sei, um sich bettfertig zu machen, dass sie dann oben auf den Nishikigaura-Klippen eine weiße Gestalt gesehen habe, und dass diese Gestalt Shigeko Torii gewesen sei. An diesem Punkt unterbrach sie einer der verhörenden Polizisten mitten im Satz.
    »Ihnen ist aber schon klar, dass es um diese nächtliche Uhrzeit und auf die Distanz, die Sie beschreiben, unmöglich wäre, etwas so detailliert zu erkennen?«
    Es stimmte, was er sagte; das konnte Saeko nicht leugnen. Es war zu dunkel gewesen, und sie war zu weit entfernt gewesen, um solche Einzelheiten zu erkennen. »Trotzdem«, sagte sie. »Ich wusste einfach, dass sie es war.«
    Die beiden Beamten schauten aus dem Fenster, dann wieder auf Saeko. »Hm«, brummte einer von ihnen. »Sie glauben also, es war so etwas wie eine Vorahnung?«
    Das konnte es sein, dachte Saeko. Eine Vorahnung, ein Gefühl. Shigeko hatte ihr von ihrem Totenbett aus eine Botschaft ins Zimmer nebenan gesandt. Die Vision war nicht real gewesen, vielmehr war das Bild direkt in ihren Kopf übertragen worden. Dies schienen die Polizisten intuitiv erkannt zu haben.
    Einer der beiden war in den Dreißigern, der andere in den Fünfzigern. Im Laufe ihres langen Arbeitslebens waren ihnen vermutlich einige Fälle begegnet, in denen eine »Vorahnung« die einzige Erklärung war. Überraschend wenige Leute taten solche übersinnlichen Phänomene von vornherein als unwissenschaftlich ab; es war üblicher, diese Möglichkeit nicht grundsätzlich anzuzweifeln.
    »Was haben Sie als Nächstes getan?«, fuhr der Ältere fort.
    »Im ersten Moment war ich geschockt. Dann habe ich Kagayama angerufen und ihm erzählt, was ich gesehen hatte.«
    »Hatten Sie irgendwelche Zweifel an dem, was Sie beobachtet hatten?«
    »Ich dachte, es wäre vielleicht bloße Einbildung. Doch ich hatte Frau Torii während des Tages gesehen, und danach hatte ich irgendwie ein komisches Gefühl.«
    »Ein komisches Gefühl?«
    »Ich habe schon einmal mit Frau Torii zusammengearbeitet. Diesmal wirkte sie vollkommen erschöpft, als hätte sie jeden Lebenswillen verloren.«
    »Den Abschiedsbrief haben Sie gesehen, nehme ich an.«
    »Ja, ich habe ihn gefunden, auf dem Tisch vor dem Sofa.«
    »Eine merkwürdige Frau. Irgendwie tickte sie anders als unseresgleichen.«
    Diese Bemerkung zeigte, dass die beiden den Brief offenbar nicht verstanden. Saeko ging es genauso, doch da sie Shigekos Wesen ein wenig kannte, war sie nicht ganz so überrascht.
    Dann stellte sie den Polizisten eine Frage. »Wissen Sie, womit Frau Torii ihren Lebensunterhalt verdient hat?«
    »Ich habe sie ein paarmal im Fernsehen gesehen.«
    »Manche Leute warfen ihr vor, sie sei eine Hochstaplerin. Doch nach dem, was ich gesehen habe, glaube ich, dass ihre Fähigkeiten echt waren.«
    »Und deshalb wäre sie zu so etwas in der Lage gewesen?«
    Einen Brief mit Anspielungen auf einen Selbstmord zu hinterlassen und im nächsten Augenblick im Bett eines natürlichen Todes zu sterben, ohne Anzeichen einer Überdosis, war ein Kunststück, das aller Vernunft widersprach, doch Saeko nickte. Shigeko hatte gewollt, dass ihr Leben endete, und mit diesem klaren Ziel vor Augen hatte sie es geschehen lassen.
    »Sie hat sich entschieden zu sterben, wie ein erhabener Mönch aus früherer Zeit?«, fragte der Kriminalbeamte ganz ohne Sarkasmus. Keine andere Interpretation war möglich; die Fakten mussten einfach so hingenommen werden, wie sie sich darstellten.
    Der jüngere Polizist unterbrach den Dialog. »In dem Abschiedsbrief bezeichnet sie sich selbst als machtlos und klein. Das klingt, als hätte sie sich selbst gering geschätzt. Können Sie sich irgendeinen Grund dafür vorstellen, dass sie so plötzlich ihr Selbstvertrauen verloren hat?«
    »Wir haben den Kräutergarten besucht, um Aufnahmen für eine Fernsehsendung über die vorgestern verschwundenen Menschen zu machen.«
    »Ach, das.«
    »Waren Sie vor Ort?«
    Die beiden Männer nickten. »Zuerst waren wir dort, doch dann wurden wir zu den anderen Suchtrupps gerufen. Wir haben die Berge zwischen dem Park und der Kammstraße von Izu abgesucht. Konnten keinerlei Spuren entdecken.«
    Saekos Blick war durchdringend, als wollte sie die Schädel der Männer durchbohren, und sie ließ ihn aus dem Fenster schweifen, entlang der Nishikigaura-Klippen, bis zu einem bestimmten Punkt an den Hängen. Zum

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