Der Graben: Thriller (German Edition)
Toshiya gesagt hatte, ging es in Jack Thornes Text ausdrücklich um das Verhältnis zwischen Schwarzen Löchern und Informationstheorie. Die These lautete, dass Informationen der wesentliche Bestandteil sowohl der Materie als auch des Lebens waren, und dass Schwarze Löcher eine Art Informationsvernichtungsmaschine waren.
Ein Schwarzes Loch entstand, wenn ein massereicher Stern erlosch und durch seine eigene starke Gravitationskraft immer kleiner wurde, bis er keinen Raum mehr einnahm, sondern zu einer Art Riss in der Raumzeit wurde. Kein Teilchen, das in dieses Loch gesaugt wurde, konnte mehr daraus entkommen, auch nicht das Licht. Das bedeutete, dass sämtliche Informationen in der Nähe vollkommen verschluckt wurden.
So erschreckend sich dies auch anhörte, Saeko wusste, dass Schwarze Löcher wirklich existierten. Es gab eines dicht am Zentrum der Milchstraße, neben dem Sternbild des Schützen. Seine Masse war rund vier Millionen Mal so groß wie die der Sonne. Je mehr Saeko über die Weiten des Raumes nachdachte, desto weiter entfernt fühlte sie sich davon zu schlafen. Als sie wach, aber mit geschlossenen Augen in ihrem Krankenhausbett lag, unterbrach das Schlurfen von Schlappen ihre Gedanken. Sie öffnete ein wenig die Augen und sah an dem Vorhang, der ihr Bett nach drei Seiten hin abschirmte, die Gestalt einer alten Frau. Ihr Haar war oben auf dem Kopf in einem Dutt befestigt, und durch das weite Krankenhaushemd sah ihr verzerrter Schatten aus wie die Puppen, die Kinder aus Papiertaschentüchern basteln, um den Regen fernzuhalten. Saeko hatte gedacht, die andere Frau schliefe, doch offenbar war sie ins Bad gegangen und kam nun zurück. »Also gut. Dann wollen wir mal ein Schläfchen machen!«, verkündete die Frau seltsam aufgekratzt, als sie wieder zu ihrem Bett ging.
Es waren nur sie beide auf dem Zimmer. Saeko hatte gehört, dass die alte Frau wegen einer Subarachnoidalblutung operiert und vor zwei Wochen auf die Normalstation verlegt worden war, da ihre Genesung gute Fortschritte machte. Manchmal stieß sie plötzlich und ohne ersichtlichen Grund kleine Freudenschreie aus – vielleicht eine Folge des Stresses, dem ihr Gehirn ausgesetzt gewesen war. Zur Abendessenszeit hatte sie für Aufruhr gesorgt und Hashiba erschreckt, indem sie sich über eine riesige violette Spinne an der Decke beschwerte.
»Gute Nacht«, erwiderte Saeko leise und schloss erneut die Augen. Auch nachdem das Licht aus war, hörte man auf der Station alle möglichen Geräusche. Die alte Frau im Bett neben Saeko raschelte mit ihrer Bettdecke und summte zufrieden vor sich hin. Ooooh , stöhnte ein alter Mann in dem Sechsbettzimmer auf der anderen Seite des Gangs, als hätte er Schmerzen oder einen bösen Traum. Hier und da knarrten Sprungfedern, wenn Patienten sich umdrehten, und die Schritte von Passanten drangen durchs Fenster herein, zusammen mit dem Rauschen des Verkehrs und dem Rumpeln vorbeifahrender Züge. Da sie bewusstlos mit dem Rettungswagen in die Klinik gebracht worden war, wusste Saeko kaum etwas über ihre Umgebung. Sie hatte keine Ahnung, in welchem Stadtteil von Ina sie sich befand oder wie die übrige Station aussah. So spärliche Informationen zu haben war nervig. Es verunsicherte Saeko, an einem Ort zu sein, über den sie so wenig wusste, in einer unbekannten Stadt.
»Schwester, bitte kommen Sie! Schwester!«
Es war die Stimme des alten Mannes im Zimmer jenseits des Ganges. Er rief schluchzend um Hilfe, mit zitternder Stimme, auch wenn es den gleichen Zweck erfüllt hätte, einfach den Klingelknopf an seinem Bett zu betätigen.
»Jetzt fängt der schon wieder an«, beklagte sich eine andere Stimme.
Als Nächstes hörte Saeko die Schritte einer Schwester, die den Gang herunterkam. Es war ein langsamer Rhythmus, als hätte sie es keineswegs eilig. Wahrscheinlich war sie daran gewöhnt, gerufen zu werden, nachdem das Licht aus war. Vielleicht wollte der alte Mann einfach nur ein wenig Aufmerksamkeit. Auf jeden Fall schienen die anderen sein Gejammer zu kennen.
»Was ist los, Herr Yasuda? Wie oft muss ich Ihnen noch sagen, dass Sie den Klingelknopf benutzen sollen?«
Saeko konnte das leise Flüstern der jungen Frau schwach durch die Tür hören. Der alte Mann schien die anderen um sich herum überhaupt nicht wahrzunehmen, doch die Schwester versuchte wenigstens, leise zu sein.
In einem anderen Zimmer begann jemand zu keuchen, und einige andere Patienten fingen an zu husten, als hätte der Erste sie angesteckt.
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