Der Graben: Thriller (German Edition)
Das erinnerte Saeko an das Gebell der Hunde unmittelbar vor dem Erdbeben. Kaum hatte der erste Hund angefangen, hatten sämtliche Hunde in der Umgebung eingestimmt, wie Flammen, die sich auf einem trockenen Feld ausbreiten, und ihr Unheil verkündendes Gejaule war zum Himmel emporgestiegen.
Doch nicht der Lärm hinderte Saeko daran einzuschlafen. Jedes einzelne Geräusch rief ihr etwas anderes ins Gedächtnis, brachte sie auf unangenehme Gedanken. Die Bilder, die durch die Geräusche vor ihr aufstiegen, drückten sie nieder, zogen sie auf den Boden eines dunklen Abgrunds. An Schlaf war überhaupt nicht zu denken. Saeko versuchte, sich etwas Lustiges vorzustellen. Diesen Trick wendete sie oft an, wenn sie Schlafstörungen hatte. Sie dachte an etwas, worauf sie sich freute, oder sie plante imaginäre Reisen an Orte, die sie gerne kennenlernen wollte. Der ideale Reisebegleiter wäre natürlich ein gut aussehender Mann. Wenn sie von den Männern, die sie kannte, einen aussuchen sollte, wäre Hashiba ein Spitzenkandidat. Die Chancen, dass eine Frau einen Mann kennenlernte, mit dem zu schlafen ihr nichts bedeutete, waren extrem gering. Als Saeko ihrem Exmann zum ersten Mal begegnet war, hatte sie nicht so empfunden, doch am Ende ihrer Ehe verspürte sie bei der bloßen Berührung seiner Hand den heftigsten Widerwillen. Vielleicht durfte sie nicht darauf hoffen, jemals einen Mann kennenzulernen, den sie ständig berühren wollte. Doch im Moment hatte Saeko das Gefühl, mit Hashiba wäre das möglich. Vorhin im Krankenzimmer war er so nett zu ihr gewesen und hatte damit ihre positiven Empfindungen ihm gegenüber noch verstärkt. Die Tatsache, dass er fünfunddreißig war, genau wie Saeko, war allerdings kein gutes Zeichen. Die Chancen standen schlecht, dass er noch Single war.
Trotzdem, ein bisschen zu fantasieren war ihr doch wohl erlaubt. Saeko stellte sich vor, wie sie sich Hashiba näherte. Das erregte sie gar nicht so sehr, vielmehr ließ es sie langsam dahinschmelzen. Sie stellte sich auch nicht den Liebesakt vor, sondern das Gefühl dabei, Hashibas Wärme, die sie einhüllte. Sie entspannte die Schultern, dann den Rücken, dann die Arme und Beine bis in die Finger und Zehen und gab sich ganz ihrer süßen Träumerei hin.
Wie viele Stunden waren vergangen, seit sie ihre Nachttischlampe ausgeknipst hatte? Saeko war sich nicht sicher, ob sie für fünf Minuten eingenickt war oder für eine Stunde. Sie hatte beide Augen noch geschlossen, nur ihr Geist war plötzlich wieder hellwach. Irgendetwas hatte sie aufgeweckt, doch sie wusste nicht, was es war.
Ohne die Augen zu öffnen versuchte Saeko, mit ihren anderen Sinnen die Umgebung wahrzunehmen. Irgendetwas Seltsames war im Raum. Hinter Saekos Kopf lag eine Wand, und die anderen drei Seiten ihres Betts waren durch die Vorhänge abgeschirmt. Der Vorhang zu ihrer Linken, der dem Gang am nächsten war, bewegte sich leicht. Sie konnte den dadurch ausgelösten schwachen Luftzug auf der Wange spüren.
Irgendjemand war durch den Vorhang zu ihr hereingeschlüpft. Dieser Jemand stand nun direkt neben ihrem Bett und schaute auf sie herab. Selbst mit geschlossenen Augen konnte Saeko es deutlich spüren. Vor ihrem inneren Auge entstand ein Bild, das sie niederdrückte.
Sie versuchte, die Hand zu heben, doch sie vermochte sich nicht zu rühren, versuchte zu schreien, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Selbst ihre Augenlider waren wie gelähmt, sie konnte die Augen nicht öffnen. Vielleicht war es so, wenn man in ein Schwarzes Loch fiel – sie hatte jegliche Kontrolle über ihren Körper verloren. Es war die gleiche heftige Schlaflähmung, unter der sie immer litt.
Sie hörte, wie der Eindringling ein- und ausatmete, nicht an ein und derselben Stelle, sondern langsam durch den Raum kriechend, dicht am Boden. Ein strenger Geruch ging von ihm aus, der Saeko bekannt vorkam, sie wusste genau, wessen Gestank das war. Ein säuerlicher Geruch, wie alter Schweiß.
Tz , schnalzte eine Zunge. Ich habe auf dich gewartet!
Die Stimme erreichte sie nicht durch ihre Ohren. Stattdessen drang die Bedeutung der Worte direkt in ihr Gehirn vor. Derjenige, dem die Stimme gehörte, war böse auf sie, weil sie nicht gekommen war. Sie hörte das dumpfe Klirren eines Schlüsselbundes in Höhe ihrer Matratze.
Inzwischen glaubte Saeko beinahe sicher zu wissen, wer da neben ihrem Bett stand.
Sie konnte weder Arme noch Beine bewegen, auch nicht die Augen öffnen oder sprechen. Sie wusste nicht einmal,
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