Der Graf und die Diebin
Fenster.
„Du willst doch nicht etwa dort hinaussteigen?“ Er grinste und zog sie an sich.
„Ich habe wenig Lust auf Madame de Fador an diesem Morgen, mein Liebling. Deshalb ziehe ich es vor, das Haus genau so zu verlassen, wie ich gekommen bin.“
Sie schüttelte den Kopf. Himmel, was war er für ein Kindskopf. „Aber es ist heller Tag, Christian. Man wird dich sehen. Am Ende wirst du noch für einen Dieb gehalten und von den Dienern eingefangen.“
Er nahm ihren Kopf zwischen die Hände und küsste sie auf die Stirn, zwischen die Augen und auf den Mund. „Mich fängt so schnell keiner ein, mein Schatz“, sagte er ernst. „Sei hübsch brav heute und mache mir keine Schande. Du wirst bald erfahren, was ich mit dir vorhabe, meine Süße.“
„Ich wüsste es lieber schon jetzt“, wandte sie ein. Seine Geheimniskrämerei gefiel ihr wenig.
„Lass dich überraschen!“
Lächelnd legte er ihr den Finger auf die Lippen. Dann zog er sie an sich und presste sie so heftig, dass sie nach Luft rang. „Bis bald, mein Liebling“, flüsterte er ihr ins Ohr.
Rasch öffnete er das Fenster, warf einen Blick über den Garten, der still und einsam in der Morgensonne lag und schwang sich auf das Fensterbrett. Angstvoll sah Jeanne zu, wie er sich hinabhangelte und in einem Beet landete. Er lachte, klopfte sich das Weinlaub aus der Kleidung und warf ihr eine Kusshand zu. Dann lief er durch den Garten davon.
Jeanne spürte eine tiefe Traurigkeit, als er verschwunden war, und sie allein im Zimmer stand. Zaghaft sah sie auf das zerwühlte Bett, das Zeuge dieser wundervollen, unvergleichlichen Nacht gewesen war. Nein, es war kein Traum gewesen. Aber so schön, wie eigentlich nur ein Traum sein konnte.
„Madame hat schon nach Euch gefragt, Mademoiselle“, vermeldete die Dienerin, die an der Tür erschien. Ihr pummeliges Gesicht war stark gerötet, vermutlich hatte Mme de Fador sie gescholten.
„Ich komme.“
Jeanne eilte durch den langen Flur zur Treppe und ging eiligen Schrittes hinunter. Das Speisezimmer lag im ersten Stock und um dorthin zu gelangen, musste sie eine Flucht von drei Zimmern durchqueren. Sie hatte gerade den ersten Raum, einen kleinen Salon – wo meist die Kartentische aufgebaut waren – hinter sich gelassen, da schlossen sich plötzlich vor ihr die großen Flügeltüren. Verwundert blieb sie stehen, zuckte die Schultern und wandte sich um.
Hinter ihr standen zwei Männer in dunklen Mänteln, die Hüte tief in die Gesichter gezogen. Blitzschnell warfen sie ein großes Tuch über sie und zogen es so eng um ihren Körper, dass sie sich kaum rühren konnte. Ihre Schreie verhallten ungehört – sie hoben sie auf, und obgleich sie sich wand wie eine Katze, wurde sie fortgeschleppt.
Sie hatten ihr einen Strick um den Oberkörper und um die Füße gebunden, so dass sie hilflos ihren Entführern ausgeliefert war. Immer noch steckte sie unter dem dunklen Tuch und konnte ihre Umgebung nur schemenhaft erkennen. Sie spürte die Bewegung einer Kutsche, hörte die Räder knarren, das Geräusch der Pferdehufe, die Peitsche des Kutschers. Ab und zu stieg ihr ein wohlbekannter Geruch in die Nase: Branntwein. Auch Pierre hatte dieses Zeug getrunken, meist war er dann zudringlich geworden, später hatte er in der Scheune gelegen und vor sich hingeschnarcht.
Ihre Entführer ließen sich auf kein Gespräch ein. Sie hatte zuerst geschrien und getobt, dann hatte sie sich darauf verlegt, sie auszufragen. Schließlich war ihr angedroht worden, sie zu knebeln. Sie beschloss daraufhin zu schweigen und abzuwarten, wohin man sie bringen würde. Ab und zu vernahm sie ein Schnaufen und Husten, jemand spuckte aus, dann wieder war ein Schluckgeräusch zu hören, und der Branntweingeruch verstärkte sich. Die Kutsche bewegte sich unbeirrt durch die Stadt und rumpelte dann einen Feldweg entlang.
Als der Wagen anhielt, packte man sie und zog sie heraus. „Ich kann allein laufen“, protestierte sie. „Nehmt mir endlich dieses Tuch ab!“
„Das könnte dir so passen!“
Sie wurde hochgehoben und wie ein Bündel getragen. Durch den Stoff konnte sie die Umrisse eines großen Hauses erkennen. Man schleppte sie durch den Eingang und dann eine Treppe hinauf. „Hier entlang!“
Die Stimme gehörte einer alten Frau, sie war rau und wenig liebenswürdig. Ihr Träger setzte Jeanne auf dem Fußboden ab, und sie spürte unter sich einen Teppich. „Nehmt ihr die Fesseln und das Tuch ab.“
„Vorsicht Susanne. Sie schlägt um
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