Der Graf von Monte Christo 1
jungen Leute sahen Morcerf mit einem Blick an, als ob sie sagen wollten: Na, na, mein Lieber, werden Sie verrückt, oder ziehen Sie uns auf?
»In der Tat«, sagte Morrel nachdenklich, »ich habe einen alten Seemann namens Penelon etwas Ähnliches erzählen hören.«
»Ah! Ein Glück, daß Herr Morrel mir zu Hilfe kommt!« rief Albert.
»Nicht wahr, es sagt Ihnen nicht zu, daß er so einen Knäuel in mein Labyrinth wirft?«
»Sie dürfen es uns nicht übelnehmen, lieber Freund«, bemerkte Debray, »aber Sie erzählen uns da so unwahrscheinliche Dinge …«
»Warum ist es unwahrscheinlich, daß mein Graf von Monte Christo existiert?«
»Nun, alle Welt existiert, da ist kein Wunder dabei!«
»Alle Welt existiert allerdings, aber nicht in solchen Verhältnissen.
Alle Welt hat keine schwarzen Sklaven, keine fürstlichen Galerien, keine Pferde zu sechstausend Franken das Stück.«
In diesem Augenblick schlug es halb elf. Die Schläge der Uhr waren noch nicht verklungen, als die Tür sich öff nete und Germain meldete:
»Seine Exzellenz der Graf von Monte Christo!«
Alle Hörer zuckten unwillkürlich zusammen; Albert selbst konnte sich einer plötzlichen Unruhe nicht erwehren. Man hatte weder einen Wagen auf der Straße noch Schritte im Vorzimmer gehört; selbst die Tür hatte sich geräuschlos geöff net.
Der Graf erschien auf der Schwelle; er war mit der größten Einfachheit gekleidet, aber der anspruchsvollste Stutzer hätte an seinem Anzug nichts auszusetzen gefunden, alles war von feinstem Geschmack, alles, Kleider, Hut und Wäsche, war aus den elegante-sten Geschäften der Hauptstadt.
Er schien kaum fünfunddreißig Jahre alt zu sein.
Der Graf schritt lächelnd bis in die Mitte des Salons, wo ihm Albert entgegenkam und ihm die Hand bot.
»Die Pünktlichkeit«, sagte Monte Christo, »ist die Höfl ichkeit der Könige, aber trotz des besten Willens nicht immer die der Reisenden.
Doch ich hoff e, mein lieber Vicomte, daß Sie in Anbetracht meines guten Willens die paar Sekunden, die ich zu spät gekommen bin, entschuldigen. Eine Reise von fünfhundert Meilen läuft nicht ganz ohne Unannehmlichkeiten ab, besonders in Frankreich, wo es verboten ist, die Postillione zu prügeln.«
»Herr Graf«, antwortete Albert, »ich war gerade dabei, einigen Freunden Ihren mir gütigst versprochenen Besuch anzukündigen, und ich habe die Ehre, sie Ihnen hier vorzustellen. Es sind der Herr Baron von Château-Renaud; Herr Lucien Debray, Privatsekretär des Ministers des Innern; Herr Beauchamp, Journalist, der Schrecken der Regierung, von dem Sie aber trotz seiner Berühmtheit in Italien vielleicht nie haben sprechen hören, da seine Zeitung dort nicht gelesen wird; endlich Herr Maximilian Morrel, Hauptmann der Spahis.«
Bei diesem Namen tat der Graf, der sich bei Nennung der anderen Namen höfl ich, aber kühl verbeugt hatte, unwillkürlich einen Schritt vorwärts, und ein leichter Anfl ug von Röte erschien auf seinen blassen Wangen.
»Der Herr trägt die Uniform der neuen französischen Sieger«, sagte er; »das ist eine schöne Uniform.«
Man hätte nicht zu sagen vermocht, was für ein Gefühl es war, das der Stimme des Grafen einen so tiefen Klang gab und seine Augen wie gegen seinen Willen leuchten machte.
»Sie haben unsre Afrikaner nie gesehen?« fragte Albert.
»Nie«, erwiderte der Graf, der seiner wieder vollständig Herr geworden war.
»Nun, unter dieser Uniform schlägt eines der tapfersten und edelsten Herzen der Armee.«
»Oh, Herr Graf!« unterbrach ihn Morrel.
»Lassen Sie mich sprechen, Herr Hauptmann … Wir haben soeben«, fuhr Albert fort, »von dem Herrn eine so edle Tat gehört, daß ich, obgleich ich ihn heute zum erstenmal gesehn habe, von ihm die Gunst erbitte, ihn als meinen Freund vorzustellen.«
Man konnte bei diesen Worten wiederum den sonderbar starren Blick, die fl üchtige Röte und das leichte Zittern der Augenlider bemerken, die bei Monte Christo die Zeichen einer inneren Bewegung waren.
»Ah, der Herr hat ein edles Herz«, sagte der Graf, »um so besser!«
Dieser Ausruf, der mehr auf die eigenen Gedanken des Grafen als auf das, was Albert gesagt hatte, antwortete, überraschte alle und besonders Morrel, der Monte Christo mit Erstaunen betrachtete.
Aber der Graf hatte einen so freundlichen Ton in der Stimme gehabt, daß man ihm nicht böse sein konnte.
»Warum sollte er daran zweifeln?« sagte Beauchamp zu Château-Renaud.
»Wirklich«, antwortete dieser, der mit seiner
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