Der Graf von Monte Christo 1
stehen.
Es war dämmrig im Zimmer, sonst hätte Albert sehen können, wie die Wangen des Grafen von einer fahlen Blässe überzogen wurden und seine Brust und Schultern nervös zitterten.
Es entstand ein Schweigen, währenddessen Monte Christo die Augen unverwandt auf das Bild geheftet hielt.
»Sie haben da eine schöne Mätresse, Vicomte«, sagte er nach einem Augenblick mit vollständig ruhiger Stimme, »und dieses Kostüm, jedenfalls ein Ballkleid, steht ihr wirklich entzückend.«
»Herr Graf«, antwortete Albert, »das ist ein Irrtum, den ich nicht verzeihen würde, wenn Sie außer diesem Bildnis noch ein andres gesehen hätten. Sie kennen meine Mutter nicht; sie ist es, die das Bild darstellt, sie hat sich vor sechs oder acht Jahren so malen lassen. Dieses Kostüm ist anscheinend ein Phantasiekostüm, und die Ähnlichkeit ist so groß, daß ich meine Mutter noch zu sehen glaube, wie sie im Jahre war. Meine Mutter ließ dieses Bild während der Abwesenheit meines Vaters malen und glaubte jedenfalls, ihm bei seiner Rückkehr eine angenehme Überraschung zu bereiten; aber seltsamerweise mißfi el es meinem Vater, und der Wert des Gemäldes, das, wie Sie sehn, ein Werk von Leopold Robert ist, hat die Antipathie gegen dieses Bild auch nicht beseitigt. Unter uns gesagt, Herr von Morcerf ist einer der fl eißigsten Pairs in der Kammer und ein berühmter General, aber nur ein sehr mittelmäßiger Kunstkenner. Anders meine Mutter, die eine sehr gute Malerin ist; und da sie das Werk zu sehr schätzte, um sich ganz davon zu trennen, so hat sie es mir gegeben, damit es bei mir weniger der Gefahr ausgesetzt wäre, Herrn von Morcerf zu mißfallen, dessen Bild ich Ihnen gleichfalls zeigen werde. Verzeihen Sie, daß ich so von Haus-und Familienangelegenheiten spreche; da ich mir aber die Ehre geben werde, Sie zu dem Grafen zu führen, so sage ich Ihnen dies, damit Sie nicht etwa das Bildnis rühmen. Zudem hat es einen un-glücklichen Einfl uß; denn es kommt selten vor, daß meine Mutter zu mir kommt, ohne es zu betrachten, und noch seltener, daß sie es betrachtet, ohne zu weinen. Die Meinungsverschiedenheit, die die Erscheinung dieses Bildes im Haus herbeigeführt hat, ist übrigens die einzige, die sich zwischen dem Grafen und der Gräfi n erhoben hat; denn, obgleich sie seit mehr als zwanzig Jahren verheiratet sind, sind sie noch einig wie am ersten Tag.«
Monte Christo warf einen schnellen Blick auf Albert, als ob er erforschen wollte, ob hinter diesen Worten eine Absicht steckte; aber es war augenscheinlich, daß der junge Mann ganz harmlos gesprochen hatte.
»Jetzt«, sagte Albert, »haben Sie alle meine Reichtümer gesehn, Herr Graf, erlauben Sie mir, sie Ihnen anzubieten, so unwürdig sie auch sind; betrachten Sie sich hier als zu Hause, und um es Ihnen noch behaglicher zu machen, begleiten Sie mich nun zu Herrn von Morcerf, dem ich von Rom aus den Dienst, den Sie mir geleistet haben, berichtet und dem ich den Besuch, den Sie mir versprochen hatten, angekündigt habe; und ich darf versichern, der Graf und die Gräfi n warten mit Ungeduld auf die Gelegenheit, Ihnen zu danken. Sie sind etwas blasiert in allem, ich weiß es, Herr Graf, und Familienszenen machen auf Sindbad den Seefahrer keinen großen Eindruck. Sie haben so viele andre Szenen gesehn! Aber nehmen Sie das, was ich Ihnen anbiete, als eine Einführung in das Pariser Leben an, ein Leben der Höfl ichkeiten, der gegenseitigen Besuche und Vorstellungen.«
Monte Christo verneigte sich, ohne zu antworten. Albert rief seinen Diener und befahl ihm, Herrn und Frau Morcerf von dem bevorstehenden Besuch des Grafen von Monte Christo zu benachrichtigen. Dann folgte er mit dem Grafen.
Als Monte Christo in das Vorzimmer des Grafen kam, sah er über der nach dem Salon führenden Tür ein Wappenschild, das durch seine reiche Einfassung und seine Harmonie mit der Ornamentik des Zimmers anzeigte, welche Wichtigkeit der Hausherr ihm beilegte.
Monte Christo blieb vor diesem Schild stehen und betrachtete es aufmerksam.
»Das ist jedenfalls Ihr Familienwappen?« fragte er. »Ich als Zufallsgraf toskanischen Fabrikats bin in heraldischen Dingen sehr unwis-send; ich hätte es auch ohne den vornehmen Herrn getan, wenn man mir nicht wiederholt versichert hätte, daß es eine absolute Notwendigkeit sei, wenn man viel reise. Man muß doch etwas auf seinem Wagenschlag haben, und wäre es nur, damit die Zollbeamten einen nicht visitieren. Entschuldigen Sie also,
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