Der Graf von Monte Christo 1
verlassen; wiederholen Sie ihm, bitte, die Entschuldigung. Die Sitzung hat um zwei begonnen, es ist drei, und ich muß sprechen.«
»Gehen Sie nur, ich werde mich bemühen, unserm Gast Ihre Abwesenheit vergessen zu machen«, sagte die Gräfi n mit demselben warmen Ton. »Werden Sie, Herr Graf«, fuhr sie zu Monte Christo gewandt fort, »uns die Güte erweisen, den Nachmittag bei uns zu verbringen?«
»Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für Ihr Anerbieten, gnä-
dige Frau, aber ich bin heute morgen vor Ihrer Tür aus meinem Reisewagen gestiegen. Ich weiß nicht, wie ich in Paris untergebracht bin, weiß kaum, wo ich es bin.«
»Versprechen Sie uns dann wenigstens, daß wir ein andermal das Vergnügen haben werden?« fragte die Gräfi n.
Monte Christo verneigte sich, ohne zu antworten, aber die Vernei-gung konnte als Einwilligung gelten.
»Dann will ich Sie nicht zurückhalten, Herr Graf«, sagte die Gräfi n,
»denn meine Dankbarkeit soll nicht indiskret oder lästig werden.«
»Mein lieber Graf«, wandte sich Albert an den Gast, »wenn Sie gestatten, werde ich Ihnen hier in Paris den Dienst erwidern, den Sie mir in Rom erwiesen haben, und Ihnen meinen Wagen zur Verfügung stellen, bis Sie Zeit gehabt haben, sich einzurichten.«
»Ich danke Ihnen bestens für Ihre freundliche Aufmerksamkeit, Vicomte«, antwortete Monte Christo; »aber ich denke, daß mein Verwalter Bertuccio die vier Stunden, die ich ihm gelassen habe, entsprechend angewendet hat und ich ein fertiges Gespann vor der Tür fi nden werde.«
Albert war an diese Art des Grafen gewöhnt; er wußte, daß er wie Nero auf der Suche nach dem Unmöglichen war, und wunderte sich über nichts; nur wollte er selbst sehen, wie seine Befehle ausgeführt wurden, und begleitete ihn deshalb bis an die Haustür.
Monte Christo hatte sich nicht getäuscht; als er im Vorzimmer des Grafen erschienen war, hatte sein Lakai schnell den Säulengang verlassen, so daß der Reisende, als er die Freitreppe betrat, in der Tat seinen Wagen wartend fand.
Es war ein Wagen aus der berühmtesten Wagenfabrik und ein Gespann, für das, wie alle Pariser Lebemänner wußten, der Besitzer noch gestern achtzehntausend Franken ausgeschlagen hatte.
»Ich bitte Sie nicht, mich bis zu meiner Wohnung zu begleiten«, sagte der Graf; »ich könnte Ihnen nur ein in der Eile eingerichte-tes Haus zeigen. Gewähren Sie mir einen Tag und erlauben Sie mir dann, Sie einzuladen. Ich bin dann sicherer, daß ich nicht gegen die Gesetze der Gastfreundschaft verstoßen werde.«
»Wenn Sie um einen Tag Frist bitten, Herr Graf, so habe ich keine Sorge; Sie werden mir nicht bloß ein Haus, sondern einen Palast zeigen. Wahrhaftig, Sie haben irgendeinen Genius zu Ihrer Verfügung.«
»Meiner Treu, lassen Sie das die Leute glauben«, entgegnete Monte Christo, indem er den Fuß auf das mit Samt ausgeschlagene Tritt-brett seiner prächtigen Equipage setzte; »das wird mir bei den Damen von Vorteil sein.«
Damit nahm er im Wagen Platz, dessen Schlag sich hinter ihm schloß, aber nicht so schnell, daß der Graf nicht eine unmerkliche Bewegung an dem Vorhang des Salons bemerkt hätte, in dem Frau von Morcerf zurückgeblieben war.
Als Albert seine Mutter wieder aufsuchte, fand er sie im Boudoir in einem großen Lehnstuhl; das Zimmer war in Dämmerung getaucht, und nur die Vergoldungen traten hier und da glänzend hervor. Albert konnte das Gesicht der Gräfi n nicht sehen, das in einer Wolke von Gaze verloren war, die sie um ihren Kopf gehüllt hatte; aber ihre Stimme kam ihm verändert vor; er unterschied auch unter den Düften der Rosen und Heliotropen des Blumentisches den herben und scharfen Geruch von Essigsalzen.
»Sind Sie leidend, Mutter?« fragte er. »Ist Ihnen in meiner Abwesenheit schlecht geworden?«
»Mir? Nein, Albert; aber die Rosen und Pomeranzenblüten strö-
men einen so starken Duft aus …«
»Dann müssen sie in Ihr Vorzimmer geschaff t werden«, sagte Morcerf, nach dem Klingelzug greifend. »Sie sind wirklich unpäß-
lich; schon als Sie eintraten, waren Sie sehr blaß.«
»Ich war blaß, sagst du, Albert?«
»Ihr Gesicht hatte eine Blässe, die Ihnen vortreffl ich steht, aber Vater und ich waren deshalb doch erschrocken.«
»Hat dein Vater mit dir darüber gesprochen?« fragte Mercedes rasch.
»Nein, aber er hat ja zu Ihnen selbst diese Bemerkung gemacht.«
»Ich erinnere mich nicht«, antwortete die Gräfi n.
Ein Diener trat ein.
»Bringen Sie diese Blumen ins
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