Der Graf von Monte Christo 1
wird mir leuchten.«
Monte Christo begleitete diese Worte mit zwei Goldstücken, die einen Ausbruch von Dankesbezeigungen hervorriefen.
»Ach, gnädiger Herr«, sagte der Hausmeister, nachdem er vergeblich umhergesucht hatte; »ich habe keine Kerzen hier.«
»Nehmen Sie eine der Wagenlaternen, Bertuccio, und zeigen Sie mir die Zimmer!« sagte der Graf.
Der Verwalter gehorchte, aber an dem Zittern seiner Hand war zu erkennen, was ihn dieser Gehorsam kostete. Sie gingen durch ein ziemlich geräumiges Erdgeschoß und den ersten Stock, der aus einem Salon, einem Badezimmer und zwei Schlafzimmern bestand.
Von einem dieser Schlafzimmer gelangte man an eine Wendeltreppe, die zum Garten führte.
»Sieh, da ist eine Nebentreppe«, sagte der Graf, »das ist sehr bequem. Leuchten Sie mir, Bertuccio; gehen Sie voran, wir wollen sehen, wohin wir über diese Treppe gelangen.«
»Zum Garten«, antwortete Bertuccio.
»Woher wissen Sie denn das?«
»Ich denke es mir.«
»Nun wohl, wir wollen uns davon überzeugen.«
Bertuccio stieß einen Seufzer aus und ging voran. Die Treppe führ-te in der Tat zum Garten. An der Außentür machte der Verwalter halt.
»Nun, weiter, Herr Bertuccio!« sagte der Graf. Aber der Angeredete war wie vernichtet; seine erschreckten Augen schienen nach den Spuren einer schrecklichen Vergangenheit zu suchen.
»Nun!« mahnte der Graf.
»Nein, nein!« rief Bertuccio. »Nein, ich gehe nicht weiter, es ist unmöglich!«
»Was heißt das?« fragte der Graf.
»Aber Sie sehen doch, Herr Graf«, rief der Verwalter, »daß das nicht natürlich ist, daß Sie gerade in Auteuil ein Haus kaufen müssen und daß dieses Haus gerade die Nummer der Rue de la Fontaine sein muß! Ach, warum habe ich Ihnen nicht gleich alles gesagt! Sie hätten sicherlich nicht verlangt, daß ich mitkäme. Ich hoff te, daß das Haus des Herrn Grafen ein anderes wäre als dieses. Als ob es nicht außer dem Hause des Mordes noch andere in Auteuil gäbe!«
»Oho«, rief Monte Christo, plötzlich stehenbleibend, »welch häß-
liches Wort haben Sie da ausgesprochen. Teufel von Mann, Sie!
Eingefl eischter Korse! Immer Geheimnisse oder Aberglauben! Los, nehmen Sie die Laterne, wir wollen den Garten ansehen; ich hoff e, daß Sie an meiner Seite keine Furcht haben.«
Bertuccio nahm die Laterne wieder auf. Als die Tür sich öff nete, sah man einen bleichen Himmel, an dem der Mond vergeblich gegen ein Meer dahinjagender fi nsterer Wolken anzukämpfen suchte.
Der Verwalter wollte sich nach links wenden.
»Nein, Bertuccio«, sagte Monte Christo, »wozu den Wegen folgen?
Hier ist ein schöner Rasen; wir wollen geradeaus gehen.«
Bertuccio wischte sich den Schweiß von der Stirn, aber er gehorchte; doch wandte er sich nach links. Monte Christo dagegen ging nach rechts; vor einer dichten Baumgruppe angekommen, blieb er stehen. Der Verwalter konnte nicht mehr an sich halten.
»Gehen Sie fort, gnädiger Herr!« rief er. »Gehen Sie fort, ich beschwöre Sie, Sie sind gerade an der Stelle.«
»An welcher Stelle?«
»An der Stelle, wo er gefallen ist.«
»Mein lieber Herr Bertuccio«, sagte Monte Christo lachend, »kommen Sie, bitte, wieder zu sich; wir sind hier nicht in Sartene oder Corte, sondern in einem englischen Garten, der allerdings schlecht gepfl egt ist, den man aber deshalb nicht zu verleumden braucht.«
»Bleiben Sie nicht da stehen, gnädiger Herr, bleiben Sie nicht da stehen, ich beschwöre Sie!«
»Ich glaube, Sie werden toll, Meister Bertuccio«, sagte der Graf kühl; »wenn das der Fall ist, so sagen Sie’s mir vorher, damit ich Sie in eine Irrenanstalt bringen lassen kann, ehe ein Unglück passiert.«
»Ach, Exzellenz«, sagte Bertuccio, indem er den Kopf schüttelte und in einer Haltung die Hände faltete, die den Grafen hätte lachen machen, wenn seine Gedanken nicht von einem höheren Interesse in Anspruch genommen gewesen wären und ihn nicht auf jede Äußerung dieses erschreckten Gewissens hätten aufmerksam achten lassen; »ach, Exzellenz, das Unglück ist geschehen!«
»Herr Bertuccio«, sagte der Graf, »ich muß Ihnen bemerken, daß Sie sich bei Ihrem Gestikulieren die Arme verrenken und die Augen rollen wie ein Besessener, aus dem der Teufel nicht weichen will; nun aber habe ich fast immer bemerkt, daß der hartnäckigste Teufel ein Geheimnis ist. Ich wußte, daß Sie ein Korse sind und immer über irgendeiner alten Vendettageschichte brüten; ich habe Ihnen das in Italien nachgesehen, weil dort
Weitere Kostenlose Bücher