Der Graf von Monte Christo 1
dem Auge gelassen hatte, zu Danglars.
»Ich glaube nicht«, antwortete Danglars; »er war zu dumm; auf jeden Fall möge der Schlag auf den zurückfallen, der ihn geführt hat.«
»Du sprichst nicht von dem, der dazu geraten hat«, sagte Caderousse.
»Na, wahrhaftig, wenn man für alles, was man so daherredet, verantwortlich sein sollte!«
»Ja, wenn das, was man so daherredet, Unheil stiftet.«
Unterdessen erörterten die Anwesenden in verschiedenen Gruppen die plötzliche Verhaftung Dantès’.
»Und Sie, Danglars«, fragte eine Stimme, »was halten Sie von diesem Ereignis?«
»Ich?« entgegnete Danglars. »Ich glaube, er wird einige Ballen verbotener Waren mitgebracht haben.«
»Das müßten Sie dann doch wissen, Danglars, Sie waren doch der Rechnungsführer.«
»Das wohl, aber der Rechnungsführer kennt nur die Ladung, welche ihm deklariert wird. Ich weiß nur, daß wir Baumwolle geladen haben, daß wir unsere Ladung in Alexandrien vom Hause Pastret und in Smyrna vom Hause Pascal empfangen haben; mehr kann ich nicht sagen.«
»Oho, da fällt mir ein«, murmelte der Vater, sich an diesen Strohhalm klammernd, »daß er mir gestern gesagt hat, er habe eine Kiste Kaff ee und eine Kiste Tabak für mich.«
»Sehen Sie«, rief Danglars, »das ist’s. In unserer Abwesenheit wird die Zollbehörde dem ›Pharao‹ einen Besuch abgestattet und die Bescherung entdeckt haben.«
Mercedes glaubte überhaupt nichts von alledem. Ihr bis dahin zu-rückgepreßter Schmerz machte sich plötzlich in Schluchzen Luft.
»Nun, nun, nur Mut!« redete Vater Dantès ihr zu, ohne selbst zu wissen, was er sagte.
»Mut!« wiederholte Danglars.
»Mut!« versuchte Ferdinand zu murmeln, aber seine Lippen bewegten sich, ohne einen Laut hervorzubringen.
»Ein Wagen, ein Wagen!« rief einer der Teilnehmer, welcher als Posten auf dem Balkon geblieben war. »Ah, es ist Herr Morrel! Mut, Mut! Jedenfalls bringt er gute Nachrichten.«
Mercedes und der alte Vater eilten dem Reeder entgegen, den sie an der Tür trafen. Herr Morrel war sehr bleich.
»Nun?« riefen sie wie aus einem Munde.
»Ach, meine Freunde«, antwortete der Reeder, den Kopf schüttelnd, »die Sache ist ernster, als wir glaubten!«
»Oh, Herr Morrel«, rief Mercedes, »er ist unschuldig!«
»Ich glaube es«, entgegnete Herr Morrel, »aber man beschuldigt ihn.«
»Wessen?« fragte der alte Dantès.
»Ein bonapartistischer Agent zu sein.«
Das war damals in Frankreich eine entsetzliche Anklage.
Mercedes stieß einen Schrei aus; der Greis sank auf einen Stuhl.
»Aha«, sagte Caderousse leise, »du hast mich belogen, Danglars!
Das, was ein Scherz sein sollte, ist also bitterer Ernst geworden. Aber ich will diesen Greis und dieses junge Mädchen nicht vor Gram sterben lassen und ihnen alles sagen.«
»Schweig, Unglücksmensch!« rief Danglars, indem er Caderousse bei der Hand faßte, »sonst stehe ich nicht für dich selbst. Wer sagt dir, daß Dantès nicht wirklich schuldig ist? Das Schiff hat an der Insel Elba angelegt, er ist an Land gestiegen und einen ganzen Tag in Porto Ferrajo geblieben. Fände man bei ihm einen Brief, der ihn kompromittierte, so würden alle, die ihm beigestanden haben, für seine Mitschuldigen gelten.«
Caderousse begriff mit dem schnellen Instinkt des Egoismus das Begründete dieses Einwurfs; er sah Danglars mit Augen voll Furcht und Schmerz an und sagte leise:
»Warten wir denn ab.«
»Ja, warten wir’s ab«, stimmte Danglars zu, »wenn er unschuldig ist, wird man ihn freilassen; ist er schuldig, so ist es unnütz, sich eines Verschwörers wegen bloßzustellen.«
»Dann laß uns gehen, ich kann nicht länger hier bleiben.«
»Ja, komm«, sagte Danglars, erfreut, jemand zu haben, der gleichzeitig mit ihm ging, »komm und laß sie sich helfen, so gut sie können.«
Sie entfernten sich. Ferdinand, der wieder die Stütze des jungen Mädchens geworden war, nahm Mercedes an der Hand und führ-te sie ins Katalonierdorf zurück; Dantès’ Freunde brachten den fast ohnmächtigen Greis nach seiner Wohnung in den Allées de Meilhan.
Bald verbreitete sich das Gerücht, daß Dantès als bonapartistischer Agent verhaftet worden sei, in der ganzen Stadt.
»Hätten Sie das geglaubt, mein lieber Danglars?« fragte Herr Morrel, als er seinen Rechnungsführer und Caderousse einholte; er eilte nach der Stadt zurück, um etwas Genaueres über Edmund vom Zweiten Staatsanwalt, Herrn von Villefort, den er kannte, zu erfahren. »Hätten Sie das
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